Flycatcher (von Astrid Klein)

… Und plötzlich stehe ich (unerwartet, auf glückliche Weise hingeführt) vor einer Installation. Von der Decke (eines weißen Raums der Sammlung Falckenberg in Hamburg-Harburg) hängen viele aneinander geheftete Fliegenfänger, einer sehr hellen Lichtquelle von oben ausgesetzt. Sie bewegen sich nicht, sondern wirken wie eine fremde Horde auf Rast. Ein Klavierstück (Aus dem Tagebuch einer Fliege von Béla Bartók) ist hörbar, die quicklebendige, nervöse Musik unterläuft die statische Gestik der Zeichen, Kratzer und Sprünge in Honiggelb, die den Fliegenfängern anhaften. Unverkennbar ist es eine Installation, die sich aus mehreren Quellen speist: Aus dem hängenden Material der blassen, aber dennoch leuchtenden Streifen, aus dem Kontrast von Lichtquelle und dunklem Boden, aus der Musik, die keinen festen Raum hat, sondern den Raum kreisend durcheilt, als müsste sie ihn „laufend“ neu vermessen und ordnen.

Die Arbeit ist von der Künstlerin Astrid Klein (geb. 1951 in Köln), und sie ist Teil einer großen, ihr gewidmeten Ausstellung (auf mehreren Stockwerken). Der Betrachter kann also versuchen, sie in Verbindung zu bringen mit den frühen Malstudien, den späteren Fotoarbeiten oder noch anderen Installationen. Natürlich, das geht – und es wäre eine der üblichen Weisen, sich dieser Arbeit zu nähern. Mir ergeht es aber von dem Moment an, in dem ich vor den Flycatchern stehe, ganz anders. Der Kunstanspruch erlischt – und die Zeichen verwandeln sich in Signale der Erinnerung …

… Und so sitze ich plötzlich in der Küche des alten Bauernhofs unserer westerwäldischen Nachbarn, es ist Mittag, unzählige Fliegenfänger baumeln von der Decke und bewegen sich im schwachen Wind. Die Fenster stehen wegen der Sommerhitze weit offen, und die Fliegen, die sich zum Teil im Klebstoff der hängenden Köder suhlen und räkeln, sind kaum noch zu zählen. Es riecht nach Kartoffeln und Speck, und auf dem Herd werden Eier gebraten. Ich bin nicht älter als neun oder zehn Jahre, und ich starre die ganze Zeit auf das Schauspiel, das uns von der Decke herab überfällt. Ich habe das Klavierstück Aus dem Tagebuch einer Fliege im Kopf, ich könnte Teile daraus summen, lasse es aber bleiben. Die Frauen in der Küche sprechen miteinander, als gäbe es keine Fliegen, Fänger oder andere Katastrophen. Es ist Erntezeit, und die Männer sind auf den Feldern. Ich bin das einzige Kind weit und breit, und ich kann mich nicht rühren, bis die Mahlzeit angerichtet und vorbei ist und wir nach Hause zurückkehren dürfen. Wo ich das Stück von Béla Bartók spielen werde, gleich und aus dem Gedächtnis …

(Ich danke Daniela Guhl, Tatjana Hummel und Dirk Luckow für wertvolle Hilfe.)