Konzentrierte Räume (Auszeit 4)

(Am 16. April 2020 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)

Die Bilder der großen leeren Plätze und Kirchen sind in diesen Ostertagen von unglaublicher Kraft. Das Oval des Petersplatzes vor der leuchtenden Fassade, die strahlende Weite des Kircheninneren – noch nie waren die Architekturen derart präsent: darstellend, erzählend, sprechend, befreit von allem störenden und ablenkenden Beiwerk. Der Blick kann sie wieder als ganzes aufnehmen, so, wie sie bei ihrer Entstehung angelegt und gedacht waren.

Hinzu kommen die Beschränkungen des gestischen Vokabulars der in dieser monumentalen Leere handelnden Personen. Man nimmt ihre Bewegungen in ihrer spirituellen Sprache genauer wahr, folgt jedem Detail und befragt es auf seine Bedeutung.

Schließlich die Worte und die Musik. Auch sie können sich in den geöffneten und puristisch bestehenden Räumen stärker entfalten. Man hört ruhiger und geduldiger zu, durchkostet die intensiven Pausen, erlebt auch die klanglichen Rhythmen der Anrufungen, Litaneien, Gebete. Statt auf große Chöre und Orchester horchen wir auf schlichten Gesang und einzelne Stimmen: wie sie sich erheben, verzweigen und niederlassen.

So starke Szenen reduzieren unsere Wahrnehmung auf die Dinge und Räume selbst. Sie erscheinen als Lektionen in konzentrierter Anschauung, entzerren die Blicke und verknüpfen das Gesehene mit der Palette der vielen Empfindungen. Daher erleben wir das Gesehene nun körperlich: Wir malen, indem wir sehen, wir figurieren auf einer Bühne, wir gestalten mit, indem wir den Skulpturen, Wegweisern und Raumfluchten folgen.

So gesehen, bringen diese Coronazeiten auch Momente eines nie erwarteten Friedens der Welten mit sich. Plötzlich wirken sie so, als hätten ihre Architekten und Planer sie erst gerade entworfen und beugten sich über die Idealmodelle ihrer Entwürfe.

Wie wird es sein, wenn wir sie wieder aufsuchen und in Massen durchströmen? Werden die kraftvollen Bilder bleiben und ihre Zeichensprachen fortwirken, so dass wir uns ganz anders aufführen als in den früheren, längst veralteten Zeiten? Genau solche Fragen erörtern die Möglichkeiten der Zukunft.