Klimaschutz als Lebenspraxis

(Heute auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S.4)

Mein Freund Hermann und ich kamen auf die Themen Klima- und Umweltschutz zu sprechen. Ich sagte, dass mir das ökologische Vokabular oft sehr trocken, bürokratisch und glanzlos erscheine. Könne man darüber nicht eleganter reden und schreiben? „Erneuerbare Energien“ oder „nachhaltige Substanzen“ – solche Formulierungen muss sich ein Jurist ausgedacht haben, sagte ich. Sie wirken ja geradezu einschläfernd fad.

Hermann reagierte aber nicht auf mein Gemaule, sondern erzählte recht impulsiv von den Aktivitäten seiner siebzehnjährigen Tochter, die im kommenden Jahr Abitur macht. Mit was Johanna sich nicht alles beschäftigt! Für die, sagte er, ist „Klimaschutz“ nicht bloß ein theoretisches Thema, sondern eine individuelle Praxis des eigenen Handelns.

Während der letzten Sommerferien arbeitete sie in einem landwirtschaftlichen Betrieb, wo sie viele konkrete Details über Saaten, Böden und Fruchtfolgen erfuhr. Zusammen mit einer Freundin kümmert sie sich seitdem um einen Garten in der Nachbarschaft. Schon längere Zeit kocht sie zwei-, dreimal in der Woche am Abend für die ganze Familie und kauft vorher bei ausgewählten Geschäften ein, weil sie sich über unsere Ernährung ebenfalls viele Gedanken gemacht hat.

Klimaschutz, sagte Hermann, besteht für meine Tochter eben aus dem ganz alltäglichen Umgang mit anderen Menschen, Pflanzen, Tieren und Dingen – darüber spricht sie sehr konkret und davon erzählt sie sie so lebendig, dass Du Dich wundern würdest! Da geht es nicht abstrakt um Klima und Umwelt, sondern detailliert um Erfahrungsmomente der Lebenspraxis: Mit welchen Verkehrsmitteln sollen wir reisen? Wie sollte ökologische Städteplanung in unseren Veedeln aussehen? Wo können wir lokal einkaufen und dabei auf kurze Handelsketten achten? Wie schaffen wir es, weniger Unnützes zu konsumieren und beim Konsum auf nachhaltige Dinge und Waren zu setzen?

Das alles ließ mich selbst an meine eigenen Jugendjahre denken. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir damals keine einzige dieser praktischen Fragen gestellt. Stattdessen war mein Kopf übervoll von Theorien und Lektüren. Ich habe Adorno, Benjamin oder Habermas gelesen und an dem Projekt einer von der Frankfurter Schule inspirierten Kulturkritik gefeilt. In konkrete Lebenspraxis ließ die sich nur schwer verwandeln.

Als ich Hermann davon erzählte, bestätigte er das: Ja, auch er habe sich in seinen Studentenjahren viel auf seine kulturkritischen Weisheiten eingebildet! Seine Tochter Johanna dagegen sei Teil einer aktiven Jugendbewegung, die eben viel pragmatischer denke und ihr Handeln vor dem Hintergrund einer deutlich erkennbaren Ethik gestalte. Ethik! Das Wort hätten wir früher, sagte Hermann, nicht einmal in den Mund genommen – jetzt ist das anders.

Stimmt, antwortete ich und fragte: Was liest Deine Tochter denn so? – Zum Beispiel Das Prinzip Verantwortung von Hans Jonas! Wenn wir von Ethik reden, enthält dieses Buch ihre philosophischen Begründungen. – Das Buch ist von 1979! entgegnete ich. – Aber immer noch hochaktuell, sagte Hermann, Robert Habeck hat sogar das Nachwort zur Neuauflage in diesem Jahr geschrieben!

Gegen Hans Jonas im Verbund mit Robert Habeck kam ich nicht mehr an – und werde als alter Theorienfreak ab sofort Hans Jonas lesen…