Der Suhrkamp Verlag wurde verkauft

In den Laufmaschen des literarischen Betriebes kribbelt und kriselt es, seit bekannt ist, dass der Suhrkamp-Verlag verkauft wurde. Und nun? Was ändert sich? Was bleibt?

Damit sich die Leserinnen und Leser dieses Blogs über diese unerwarteten Veränderungen informieren können, verweise ich zunächst mal auf einen Artikel im Börsenblatt des deutschen Buchhandels:

https://www.boersenblatt.net/news/verlage-news/dirk-moehrle-uebernimmt-suhrkamp-komplett-347115

In einem zweiten Schritt verweise ich auf die Zusammenfassung eines Gespräches, das mit dem Verleger Jonathan Landgrebe geführt wurde, ebenfalls aus dem Börsenblatt:

https://www.boersenblatt.net/news/verlage-news/jonathan-landgrebe-suhrkamp-ist-nicht-not-347173

Und nun – was sagt uns das alles?? Ich bin Autor des Insel-Verlages, Herr Landgrebe ist also auch mein Verleger. Ich werde mich umhören. Solche Nachrichten wollen „verarbeitet“ werden.

Simon Rattle spricht über Musik

Simon Rattle, seit kurzem Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayrischen Rundfunks, hat in einem Gespräch darüber nachgedacht, welche besonderen Wirkungen er mit jener Musik verbindet, die sein Orchester spielt. Und dabei auch auf einige typisch deutsche Besonderheiten abgehoben: das Jägerlatein der Musikkritik, die fehlende Poesie beim Schreiben über Musik.

https://www.zeit.de/2024/42/sir-simon-rattle-dirigent-klassische-musik-berliner-philharmoniker/komplettansicht

Was mich noch einmal darin bestärkt hat, weiter über Musik nachzudenken, und zwar so, dass Worte gefunden werden und Texte entstehen, die den Zauber der Klänge auch in ihren Rhythmen und Phrasen spiegeln.

Ganz zu schweigen davon, dass man bereits in den Grundschulen mit gutem Musikunterricht beginnen sollte. Wenn ein solcher Unterricht fehlt, fehlt ein halbes Leben, das kaum noch einzuholen ist. Musikunterricht und Unterricht im Schreiben (Kreatives Schreiben) – damit sollte man so früh wie möglich beginnen.                          

Für Alina von Arvo Pärt

Die kurze Klavierkomposition Für Alina des estnischen Komponisten Arvo Pärt (geb. 1935) ist 1976 entstanden, nach einer langen Phase der musikalischen Umorientierung.

Sie leitet einen neuen Abschnitt in Pärts Schaffen ein, der durch eine starke Reduktion auf einfache, aber doch komplex ineinander verwobene Klangfolgen gekennzeichnet ist. Diese Stücke sind daher auch ideale Kompositionen für die Gehörbildung. Man folgt den schlichten Tonschritten, Dur-Akkorden in der einen, kurzen Melodieführungen in der anderen Hand.

Das Hören nimmt aber kaum eine Entwicklung wahr, sondern einen Stillstand oder eine Besinnung auf einzelne Töne und ihre Wirkung. Pärt hat keine Taktart vorgegeben, sondern nur eine Empfehlung: „Ruhig, erhaben, in sich hineinhorchend“.

Genau das ist es – der Versuch einer meditativen Musik, die bei sich bleibt, ohne die Hörerin oder den Hörer zu überwältigen oder abrupt zu erfassen.

Damit verbunden, wünsche ich allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs ein intensiv nachwirkendes Wochenende.

Biennale in Venedig auf der Giudecca

Der heiße Sommer ist vorbei, jetzt kommt die Zeit der Herbstreisen – auch in Städte und Gegenden, die jetzt weniger touristisch überlaufen sind. Venedig zum Beispiel wird jetzt allmählich wieder zu einer Stadt, in der sich in Ruhe schauen und leben lässt.

Die Biennale ist eine der interessantesten Terrains, um die Kunst der Gegenwart genauer kennenzulernen und ihre Impulse zu begreifen.

Mein Rat wäre: Den Vatikan-Pavillon (ja, den gibt es!) auf der Giudecca zu besuchen. Er inszeniert Verweise auf alte, literarische und biblische Texte in einem ehemaligen Frauengefängnis der Stadt.

Hier die weiteren Informationen, darunter auch solche zum kulturellen Leben der Stadt in den nächsten Wochen und Monaten.

https://www.labiennale.org/it/arte/2024/santa-sede

Hundert Jahre Siegfried Unseld

Am Wochenende berichteten viele Medien von den Feiern und Gedenkveranstaltungen zum 100. Geburtstag des Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld.

Der Verlag stellt sein Arbeiten und Schaffen sehr konkret und nachvollziehbar ins Licht. Zunächst durch die Ausgabe von 100 ausgewählten Briefen, die er an seine Autorinnen und Autoren geschrieben hat.

Dann aber auch durch die digitale Präsentation seiner Chroniktexte, die er meist abends schrieb und in denen er protokollierte, was er während der letzten Tage getan, gedacht und mit wem er sich getroffen hatte. Es sind Chroniken im Dienst des Verlages und im Dienst eines Themas (was heißt und bedeutet es, Verleger zu sein?). Eben deshalb sind sie keine Tagebücher oder gar Bekenntnisse. Präzise und meist neutral berichtet Unseld, plant neue Projekte, resümiert, was nottut und lässt die Leserin/den Leser an den Umtrieben des literarischen Lebens teilhaben.

So wird die Lektüre zu einer Übung darin, genauer zu verstehen, wie viel an Kräften, Ideen und Schwung es erfordert, einen Verlag und sein anspruchsvolles Programm so zu inszenieren, dass die gedruckten Werke beachtet werden und die ihnen zustehende Wirkung tun.

https://www.siegfried-unseld-chronik.de/

Lesen! Lange darin lesen! – ist mein Rat – nicht nur für angehende Autorinnen und Autoren!

Daach der koelschen Sproch

Am kommenden Sonntag, 29.9.2024, findet in Köln der erste Daach der kölschen Sproch (http://stadt-koeln.de/daach-der-koelschen-sproch) statt. Ganz Köln spricht dann kölsch oder versucht es zumindest. Viele Vereine, Künstlerinnen und Künstler bemühen sich, Einheimische und Gäste für diese seltene Idee zu begeistern.

Das geschieht durch ein großes Programm mit vielen Veranstaltungen. Es gibt Frühschoppen auf kölsch und zahlreiche Führungen, u.a. auch im Rathaus. Auf Rundgängen treten Theatergruppen und Spielkreise auf und natürlich werden auch „Schnupperkurse“ für Anfänger und Neugierige angeboten. Auf dem Neumarkt gibt es ein Mitmachkonzert für alle.

Ich empfehle besonders den Besuch des Hänneschen Theaters, in dem ich selbst unzählige Male Aufführungen auf kölsch erlebt habe. Viel Vergnügen wünsche ich allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs – und ein anregendes kölsches Wochenende!

https://www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/freizeit-natur-sport/veranstaltungskalender?from=20240929&to=20241006&search_text=&veranstaltung_stadtbezirk=&veranstaltung_kategorie=153#veranstaltungssuchergebnis

Violoncello à deux

Am 29. April 2023 habe ich zusammen mit der Pianistin Olga Scheps in der Kaiserpfalz von Paderborn ein Zusammenspiel von Texten und Kompositionen inszeniert. Leider ist es bisher nicht zu einer Fortführung dieser interessanten und anregenden Zusammenarbeit gekommen.

Nun aber gibt es einen neuen Anlauf. Ich werde mit zwei Cellistinnen aus dem rheinischen Raum mehrere Abende lang das Experiment der Verbindung von Wort und Klang wagen. Dabei werde ich kurze Texte aus meinen Italien-Büchern lesen, auf die Birgit Heinemann und Uta Schlichtig musikalisch mit kurzen Stücken antworten.

Heute proben wir zum ersten Mal, am 6. Dezember 2024 werden wir in Bonn zusammen auftreten (Ort und Zeit werden noch bekanntgegeben).

https://www.violoncello-a-deux.com/

Der Kölner Dom in einer ausgezeichneten Doku

Auf ARTE ist eine ausgezeichnete, neue Doku über den Kölner Dom zu sehen, der mit jährlich sechs Millionen Gästen das attraktivste Reiseziel in Deutschland ist.

Ausgezeichnet, warum? Weil es eine Doku ist, die vor allem von jenen Experten gestaltet wird, die aktiv an der Erhaltung des Domes für die Zukunft beteiligt sind. Allen voran der Dombaumeister, aber auch  Archäologinnen oder Arbeiterinnen und Arbeiter in den Domwerkstätten!

Wie sie dabei vorgehen, welche handwerklichen und digitalen Methoden sie anwenden, wird im Detail gezeigt, so dass man präzise Vorstellungen darüber erhält, in welchen zeitlichen Dimensionen die Projekte der Instandhaltung angelegt sind.

Natürlich gerät auch die Baugeschichte anhand von Modellen in den Blick, und man tritt eine Zeitreise durch die europäische Kulturgeschichte an, in der auch die französischen, vorbildlichen Kathedralen eine bedeutende Rolle spielen.

Ich empfehle diese Doku sehr (und das nicht nur als Kölner, sondern als ein Beobachter, der Architekturgeschichte eben auch als Weltgeschichte begreift).

https://www.arte.tv/de/videos/111661-000-A/der-koelner-dom/

Iiro Rantala in Bonn und im Songbook

Die Auftritte des finnischen Jazzpianisten Iiro Rantala habe ich seit vielen Jahren live oder per CD verfolgt und einige seiner Stücke sogar anhand seines Songbooks (20 Pieces for piano) am Klavier einstudiert.

Ich empfehle die Nachahmung und wünsche allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs ein sonniges Wochenende, verbunden mit Rantalas Auftritt beim Bonner Jazzfest 2024.

Herbstinterview 2 – Was ich in der Auszeit gelesen habe

Hanna: Du hast in der Auszeit erneut Kafka gelesen, das Jubiläum des 100. Geburtstages wirkt nach, oder?

HJO: Ja, ich habe während dieses Jahres wieder mehrere Anläufe zur Kafka-Lektüre unternommen. Es gab sie auch in früheren Zeiten, sie hielten kurz an, dann habe ich wieder aufgegeben. Ich habe mich mit Kafkas Texten nur schwer anfreunden können. Ich habe viele auch nicht gerne gelesen. Andererseits habe ich ihre enorme Strenge und Klarheit sehr bewundert. Das half aber nicht. Ich habe also immer weiter nach einem Zugang gesucht.

Hanna: Hast Du Biografien oder literaturwissenschaftliche Deutungen gelesen?

HJO: Sehr ungern. Biografien über Kafka kamen mir oft so vor, als würden sie diesen Schriftsteller überstrapazieren. Und Deutungen taten das in meinen Augen erst recht. Ich suchte nach einem unmittelbareren Zugang, ohne die Präsentationsformen von Biographien oder Analysen. Ihre Methodiken machen aus Kafka oft eine kuriose Figur, die um jeden Preis etwas Schräges und Blutarmes haben soll.

Hanna: Keine Biografien, keine Deutungen – was denn? In diesem Jahr sind doch gute, sehr lesenswerte Bücher über Kafka erschienen!

HJO: Welche meinst Du?

Hanna: Zum Beispiel die Kafka-Bücher von Rüdiger Safranski (Kafka. Um sein Leben schreiben) und Andreas Kilcher (Kafkas Werkstatt. Der Schriftsteller bei der Arbeit). Die müssten Dir doch gefallen haben. Sie zielen beide auf den besonderen Schreibimpuls Kafkas, auf seine lebenslange Bindung ans extreme Schreiben und daran, dieses Schreiben als das Zentrum des Lebens zu betrachten.

HJO: Stimmt, ja, diese beiden Bücher sind weit entfernt von starrer Biographik und der Versuchung, jedes Lebensdetail auszustellen. Sie sind sehr gegenwärtig, indem sie vor allem das Schreiben zum Thema machen. Und das wäre ja auch genau der Moment, der mich an Kafka beschäftigt und interessiert: Schrifthingabe, bis zur Auslöschung alles anderen. Dieses Moment ist mir sehr nahe. Ich bin aber noch einen Schritt weiter zurückgegangen und habe Zugänge gesucht, der mir noch größere Freiheiten lassen.

Hanna: Und das wären?

HJO: Ich habe mich an einen Essay von Elias Canetti erinnert, den ich wohl noch als Schüler im Jahr 1969 zum ersten Mal gelesen habe. Damals ist er im Carl Hanser-Verlag als schmales Buch erschienen (Elias Canetti: Der andere Prozeß. Kafkas Briefe an Felice). Der Anlass war die Veröffentlichung dieser Briefe. Ein Band mit 750 Seiten Briefen an die Verlobte Felice Bauer! Elias Canetti hat die Lektüre infiziert und getroffen, gleich zu Beginn seines Essays schreibt er: „Ich habe diese Briefe mit einer Ergriffenheit gelesen, wie ich sie seit Jahren bei keinem literarischen Werk erlebt habe.“ Das ist mir ähnlich gegangen. Ich habe Kafka eher in seinen Briefen entdeckt, er war ja ein manischer Briefeschreiber, oft waren es mehrere an einem Tag. Indem er ein Gegenüber fixierte, ließ sich die Hemmung, „Literatur“ schreiben zu müssen, überspringen. Die Briefe selbst wurden zu „Literatur“, dieses Schreiben räumte ihm alle Freiheiten der Welt ein und band ihn nicht an Themen oder Genres. Canetti geht ihren Motiven nach und erzählt die Geschichte einer Verbindung wie ein Drama mit vielen Akten, Höhepunkten und Katastrophen. Als Leser ist man so einerseits sehr nahe an Kafka, andererseits aber auch nahe an Canetti, der jede Regung in den Briefen nachempfindet. Das ist keine Biographik und keine Analyse, sondern einfach so, dass sich ein sehr aufmerksamer Leser aller Spuren annimmt und sich fragt, wohin sie führen und woher sie kommen.

Hanna: Du schlägst also vor, dieses Canetti-Buch zu lesen?

HJO: Ja, fürs Erste. Unbedingt. Es geht nicht darum, viel Faktisches über Kafka zu wissen, sondern darum, ihm so nahe wie möglich zu sein. Und das erreicht Canetti wie wenige andere.

Hanna: Hast Du noch einen zweiten Vorschlag für eine solche Annäherung?

HJO: Ja, habe ich. Nächstens mehr.