(Heute auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S.4)
Viele meiner guten Freunde kochen mehr oder minder laut vor Empörung und Wut. Sie finden die Ansetzung des Wahlkampfs in den Monaten von Advent, Weihnachten und betriebsarmer Zeit zwischen den Jahren nicht nur eine Zumutung, sondern auch unverschämt. Das ist der Gipfel der schalen Ideen, mit denen uns die Ampelkoalition laufend beschäftigt hat, sagen sie.
Nun sollen wir auch in diesen Entspannungswochen auf die hochgekochten politischen Verlautbarungen reagieren, die durch die Medienkanäle geschleust werden. Längst haben sie den Charakter eines Schauspiels angenommen, in dem die politischen Protagonisten einen Auftritt nach dem andern hinlegen, ausführlich kommentiert und in jeder Talkshow gnadenlos unergiebig von Schauspielexperten besprochen.
Wieso ist Boris Pistorius der beliebteste deutsche Politiker unter der Sonne? Meine Freunde verstehen noch immer nicht, wie er sich diesen Nimbus erworben hat. Durch überzeugendes Handeln, durch intelligente Lösungsvorschläge für die vielen Probleme des Landes? Pustekuchen, er stand einfach nur meist vor den richtigen Mikrofonen am richtigen Ort, um Militärtechnisches zu murmeln. Und das sowas von hinreißend!
Und ist Olaf Scholz wirklich der große Versager, als der er gegenwärtig gehandelt wird? Ach was, auch Scholz wird auf eine Rolle festgelegt, die man nicht aus seinen Text-Statements ableitet, sondern vor allem aus seinem Auftreten. Hätte er sich doch Berater genommen, die ihm eine neue Brille oder einen passenderen Anzug verschafft hätten!
Die Ära der Auftritte unserer Politiker in den Rollen von Staatsschauspielern begann Anfang der sechziger Jahre mit dem Einzug der Fernsehgeräte in die meisten deutschen Haushalte. Willy Brandt war 1961 der erste Kanzlerkandidat, der vom Wahlkampfmanagement frisch gekleidet und kostümiert in die Schlacht gegen Altkanzler Adenauer gejagt wurde.
In einem cremefarbenen Mercedes-220-S-Kabriolett mit roten Lederpolstern wurde er auf eine Route von 22 000 Kilometern durch die deutschen Provinzen geschickt. Die Ideen für seine Auftritte, die von Lautsprecherwagen angekündigt wurden, hatte Manager Klaus Schütz in den USA entliehen, wo er den Wahlkampf zwischen dem jungen John F. Kennedy und Richard Nixon genau verfolgt und studiert hatte. „Ich bin völlig vorurteilsfrei; ich beurteile jeden nur nach der Wirkung, die er heute hat“, so lautete sein Glaubensbekenntnis.
In den nächsten Wochen und Monaten werden wir es genau mit solchen Profilierungsversuchen zu tun bekommen. An Heiligabend wird Christian Lindner in irgendeiner Nachrichtenagentur auftauchen und fragen: „Wo ist die Nachricht?“ An Silvester wird Robert Habeck an seinem Küchentisch sitzen und das vergangene Jahr schmunzelnd und zaudernd rekapitulieren. Friedrich Merz wird in den beliebten freien Tagen zwischen den Jahren in seinem Privatjet über die Lande kreisen, um Eindruck noch auf die entlegensten Regionen zu machen, und Präsident Frank-Walter Steinmeier wird eine Predigt zum Neuen Jahr halten, in der er jene Probleme anspricht, die er bereits ungezählte Male in seinem stoisch akzentuierten Weisheitsvokabular skizziert hat.
Meine Freunde und ich – wir haben diese hemmungslose und abstoßende Befeuerung mit kleinen oder großen Auftritten satt, wir wollen nach all den vielen Monaten des lächerlichen Ampel-Theaters einfach in Ruhe gelassen werden. Die „Geopolitik“ soll man uns auch bitte nicht mehr erklären, wir kennen sie zur Genüge. Könnten wir zu einer Großdemonstration aufrufen, würden wir fordern, den Wahlkampf unverzüglich einzustellen. Keine teuren Plakate, keine Flyer und Broschüren und kein Durchreichen der vielen Kanzlerkandidaten durch sämtliche Nachtprogramme der Fernsehsender!
Wohin, fragen meine Freunde zuletzt, ist eigentlich Kamala Harris, die Kandidatin der Herzen, verschwunden? Und wohin die eine Milliarde Dollar, die sie als Wahlkampfspenden gesammelt hat? Ein so unkommentiertes Verschwinden sollte uns klüger machen. Vanitas vanitatum, alles ist eitel, so beginnt im Alten Testament der Prediger Salomo – und genau diese würzige Kürze wäre unser Vademecum für die klüger Gewordenen.