Papst Franziskus ist gestorben

Gestern ist Papst Franziskus um 7.35 Uhr gestorben. Er hat das schwierige Amt in äußerster direkter Zuwendung zu den Menschen ausgeübt und dadurch starke neue Akzente gesetzt.

Ich vertiefe mich an den folgenden Tagen in seine Autobiografie und halte Kontakt mit meinen römischen Freundinnen und Freunden, die mir aus der Ewigen Stadt berichten werden.

Der nächste Blogeintrag wird nach den Trauerfeierlichkeiten und der Beerdigung erscheinen.

Die ganze Welt im Wirtshaus

(Heute auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)

Vor kurzem ist der Schweizer Schriftsteller Peter Bichsel im Alter von 89 Jahren gestorben. Er war ein Großmeister der Kolumne und hat diese kleine Form wie kaum ein anderer Schriftsteller zu einem erst genommenen, literarischen Genre gemacht. In jeder steckte auch eine Geschichte, Bichsel switchte geschickt zwischen Berichten und Erzählen hin und her, und als aufmerksamer Leser fragte man sich, wo man sich gerade an seiner Seite befand. In einer Nachrichtenwelt, wo die Fakten des Alltags gedreht und gewendet wurden? Oder in einer frei erfundenen Fantasie?

1964 erschien sein erstes Buch im Walter-Verlag in einer Auflage von 1200 Exemplaren. Es hieß Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen und war ein schmales Bändchen mit kurzen Erzählungen. Von einer Frau, die sich ein Klavier wünscht. Von einem Pfingstrosenstrauß, den jemand in einen Briefkasten steckt. Vom Milchmann, der keine Butter mehr hat. Oder von Beamten, die ihre Arbeitszimmer verlassen und zum Mittagessen eilen. Am Ende liegt Schnee auf einer halben Seite, und ihre Leere signalisiert, dass Schnee entlegene Dörfer einsam macht.

Eine ruhige, stille Eigenheit durchzog das Bändchen und machte in einer Zeit, in der gerade noch die Blechtrommel  kräftig gewirbelt hatte, Furore. Dieser Schweizer Schriftsteller musste in verborgenen Gegenden zuhause sein. Einen umfangreichen Roman würde er wahrscheinlich nicht schreiben, und seinen Stoff würde er in der Zukunft wohl aus ähnlich abseitigen Welten beziehen. Mehr über ihn zu erfahren, war nicht leicht. Man wusste höchstens, dass er in Solothurn lebte, von Beruf Primarlehrer war und nicht gerne weit reiste.

Peter Bichsel erhielt danach für seine kurzen Geschichten zahlreiche Preise, und bald bestätigten sich die Vermutungen. Nein, er schrieb keine langen Romane, und seine Texte zur Lage der Dinge und der nahen Welt nannte er Kolumnen und sammelte sie in schmalen Bänden. Wie aber stellte er es an, von seinen Umgebungen zu erzählen? Er saß meist unter Menschen, am liebsten in einer kleinen Beiz, trank Wein und hörte zu. Das geduldige, lange Dasitzen nannte er „wohnen“ – „nur noch in der Beiz, in der kleinen Beiz, erlebe ich nostalgisch noch ein bißchen städtisches Wohnen, ein bißchen Zusammenrücken.“

Zusammenrücken, zuhören, an Gesprächen teilnehmen, ohne den Ton anzugeben – das bildete den Unter- und Hintergrund seiner Texte. Im Grunde schrieb er sie im Namen der anderen, fischte in ihren Meinungen und ließ oft mehrere zugleich zu Wort kommen. Nicht der Schriftsteller in ihm stand im Mittelpunkt, sondern sein Gehör, das immerzu auf Empfang geschaltet war. Wurde es um ihn herum einmal zu still, ließ er das Radio laufen und erlebte „Gesprochenes“, auch dann, wenn er es gar nicht verstand: „Es darf auch Japanisch sein, einfach menschliche Stimmen. Offensichtlich gibt es so etwas wie eine Hörsucht, und offensichtlich kann eine Sucht nicht brutal genug befriedigt werden; Radio ist jedenfalls eine brutale Form der Hörbefriedigung.“

Lange Zeit ahnte ich nicht, wie nahe meine eigenen Kolumnen denen von Peter Bichsel kamen. Seit nun mehr als sechs Jahren erscheinen sie im Kölner Stadt-Anzeiger, S. 4. Und fast immer erzählen sie von meinen Freunden und all dem, was in meinen Freundeskreisen gerade zu Wort gekommen ist.

Mein Solothurn ist Köln-Nippes, genauer, die Läden, Cafés und Kneipen entlang der Neusser Straße, mit dem Gesprächszentrum des Goldene Kappes. Längst haben meine Freunde sich angewöhnt, mich mit den neusten Themen ihrer Haushalte zu füttern. Wir trinken ausschließlich Kölsch und bewegen uns nach alter Bichsel-Art nicht von der Stelle. Um uns herum flutet das farbige und oft turbulente Leben, und ich habe das Glück, dieser Flut einige Gesprächsbrocken zu entnehmen.

Als Peter Bichsel gestorben war, habe ich oft und lange an ihn gedacht. Im Fernsehen lief ihm zu Ehren die Doku Zimmer 202. Sie zeigte, wie er einmal nach Paris reiste und im Bahnhofshotel des Gare de l‘Est einige Tage und Nächte verbrachte. Nur die nächste Umgebung sah er sich an, mehr nicht, und als ihm der Regisseur vorschlug, mit dem Taxi zu den Champs-Élysées zu fahren, um das Ende der Tour de France zu erleben, winkte er nur freundlich ab und sagte: „Aber das muss doch wirklich nicht sein…“

Ein Ostergeschenk

Ich beobachte Pinguine im Zoo. Ich esse Grissini und mache Feuer. Ich gehe in Klausur und übe Klavier. Ich besuche ein Lunchkonzert und bin bei Joseph Haydn zu Gast. Ich führe Selbstgespräche und begegne Mariana Leky in einem ICE. Ich gehe einkaufen und frage mich, wie es bei „Le Moissonnier“ in Köln weitergeht. Ich bin überhaupt häufig in Köln und spreche mit meinen Freunden. Ich bin sehnsüchtig und höre die Kleine Nachtmusik. Ich stehe frühmorgens auf und drehe Runden in meinem Viertel. Ich komponiere und blicke mit Pauline in ihren Garten. Ich denke in vierzehn kurzen Kapiteln an GOTT. Ich bin in die Bilder Vermeers vernarrt. Ich erinnere mich an das österliche Leben meiner Kindheit …

Heute erscheint die Taschenbuchausgabe meines Buches „Von nahen Dingen und Menschen“. Es ist Journal, Tagebuch, Kurzprosa-Sammlung und Erlebnisreise durch die letzten Jahre. 

„Eine Harmonielehre des guten Lebens, ein wunderbares Buch über Nähe, dicht erzählt und nicht um kuriose Pointen verlegen“, schreibt der Rezensent Michael Braun. 

Mit anderen Worten: Ein ideales Ostergeschenk!

Das Design der neuen Website Sala Ortheil

Über das Design der neuen Website der Sala Ortheil hat sich der Webdesigner Marvin Müller einige kluge Gedanken gemacht.

Grundlage war die Betrachtung der Sala von der Straße aus. Als Spaziergänger erhält man nirgends einen direkten Einblick in den Raum, sondern kann Details höchstens durch die offenen Spalten der Vorhänge (Paneelen) erhaschen.

Das ist bewusst so gestaltet, denn die Geschlossenheit nach außen vermittelt den ästhetischen Eindruck eines Studierzimmers.

Betritt man diesen nach außen geschlossen erscheinenden Raum, verwandelt sich die Wahrnehmung.  Man erkennt eine Hausbibliothek mit neuen und alten Büchern der Familie. Man erkennt „Imaginaria“ des Schreibens (in Form vieler Fotografien in unterschiedlichen Formaten). Und man erkennt Lebensszenen (in Gestalt alter Möbel, Spielsachen, Schreibmaschinen und ausgestopfter Vögel). So setzt sich der Raum einem Publikum aus, das auf den in Reih und Glied stehenden Stühlen Platz nehmen – und schauen kann.

Eine  besonders aufmerksame Leserin dieses Blogs hat das Webdesign in einer Mail beschrieben, die sie mir geschickt hat:

Mir gefällt an der neuen Website der Sala die Scroll-Animation. Mit ihrer Hilfe gleitet eine illustrierte Textwand mit querformatigen Fensterspalten über zwei statische Innenaufnahmen des Studios für Literatur und Musik.

Diese Präsentationsform löst beim Betrachter eine Raumwahrnehmung aus. Er wähnt sich außen stehend, direkt vor dem früheren Ladenlokal.

Eine Außenaufnahme, welche die Sala am linken Rand der Wissener Mittelstraße zeigt, verstärkt diesen Eindruck. Der Interessierte blickt scheinbar, wie durch ein Schlüsselloch, in den Innenraum, sieht diesen aber nicht als Gesamtbild sondern vielmehr fragmentarisch, als eine Folge von einzelnen, nacheinander auftretenden, einander ablösenden, fenstergroßen, schmalen Längsstreifen.

So ist es, vielen Dank für diese Mail!

http://www.salaortheil.de

Im Innern des Büros

(Heute auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)

Mindestens einmal am Tag sprechen meine Freunde von der ausufernden Bürokratie und den nervigen Erscheinungen der Bürokratisierung. Fragt man sie genauer und will Beispiele hören, weichen sie aus und flüchten sich schließlich zu Gemeinplätzen. Bürokratie sei einfach überall, sie lähme das Leben, mache es langsamer und trostloser und lade jedem alltäglichen, einfachen Vorgang einen Packen von unnützen Vorschriften auf.

Frage ich nach, wie sich „Bürokratie“ feststellen lässt, sagen sie, es gebe sie überall da, wo kleinkariert oder pedantisch gedacht werde, der Staat das alleinige Sagen und Befehlen habe, an Details herumgedoktert werde – und das alles in einem meist unverständlichen Beamtenjargon.

Bürokratisch sei dementsprechend die Geisteshaltung all derer, die nichts rasch und elegant erledigen, sondern jeden Vorgang in ein Säurebad der Petitessen tauchen. Von der fortschreitenden Digitalisierung erhoffe man sich das Gegenteil, smart und digitalaffin sei die Haltung aller, die kaum noch etwas körperlich in die Hand nehmen, sondern alles lieber ihren Smartphones überlassen. Die brächten Tempo in den Alltag. Das reiche vom bargeldlosen Bezahlen über das Online-Banking bis hin zum Zeitmanagement, das von den neusten Apps längst auch im lockeren Gesprächsmodus durch einen digitalen Assistenten erledigt werde.

In der Tat hat die Bürokratie ihre Wurzeln in der Konzeption des Büros und geht, historisch noch weiter zurückverfolgt, auf die Schreibstube von Mönchen und späteren Verwaltungsbeamten zurück. Alles beginnt mit dem Abschreiben und Ablegen von Dokumenten, die in Ordnern und Regalen ein langes Leben führen. Der bürokratische Mensch sitzt auf seinem Arbeitsstuhl an seinem Arbeitstisch und bewegt sich nicht im Freien. Er atmet die schädliche Büroluft und verliert allmählich das Bewusstsein von Dringlichkeit oder Zeit.

Wie in Trance verlässt er in den späten Nachmittagsstunden seinen Arbeitsraum, um sich endlich dem Höhepunkt des Tages, der Afterhour, zu widmen. Erfahrene Genießer dieser Überlebensstunden dehnen die Minuten und Stunden bis in die Nacht aus. Sie wechseln rasch das Outfit, kommen einander näher und bewegen sich langsam hinüber ins Reich der ozeanischen Empfindungen, die sie erst am nächsten Morgen in ihrem bescheidenen Büro wieder versachlichen.

Mit den Jahren ist in mir jedoch ein bestimmter Verdacht gewachsen. Könnte es sein, dass die Erlebnisse der vielberedeten und allgemein als störend erlebten Bürokratisierung vielleicht auch eine Folge der Digitalisierung sind? Mir kommt es jedenfalls oft so vor, als wären all die vielen Apps, die laufend aus den Netzen schießen, in nicht geringem Maße schuld an der Erziehung zum kleinkarierten Abhaken, Akzeptieren, Verwerfen, Anmelden und Abmelden.

So gesehen, wirkt das Fummeln mit Apps extrem bürokratisch. Gefragt wird alle paar Sekunden nach Details, die niemanden etwas angehen und durch deren Preisgabe ich mich angeblich in den Zonen des mühelosen und leichten Lebens bewege, umsorgt von den unvermeidlichen Cookies, die sich an jeder Internetkreuzung in Scharen melden, Zähne und Zunge zeigen oder ungefragt vor sich hinplappern.

Meine Freunde halten meinen Verdacht für „gewagt“. Sie wollen sich die schöne, neue Welt der scheinbar lässigen Attitüden und die dauernde Nutzung ihres Handy-Büros nicht verderben oder ausreden lassen. Stattdessen knien sie jetzt im Frühling vor jedem blühenden Pflänzchen, fotografieren es xmal und legen die selbstverständlich überarbeiteten Fotos den Liebsten ins Instagramkörbchen. Die Großtante Meta führt Protokoll, zählt die Aufrufe und Interaktionen und lässt das bürokratische Registrieren durch hemmungsloses Lob vergessen: „In den letzten 30 Tagen hast Du dreitausend Aufrufe erzielt.“ Na denn, wenn das nichts ist!

Gedichte für Kinder

Eine wunderbare Website mit Gedichten für Kinder aus aller Welt (und in den Originalsprachen) hat das Berliner Haus für Poesie angekündigt – 

Lyrikline – Poesie für Kinder ist die erste Website, die deutsche und internationale Kindergedichte versammelt und hörbar macht. Sie richtet sich an Kinder im Alter von 8–12 Jahren.

Poesie kann hier spielerisch entdeckt werden: 20 illustrierte Kategorien ordnen die ausgewählten Gedichte passenden Kategorien zu. Die von Illustrator Andreas Töpfer gestalteten Bebilderungen sind interaktiv und veranschaulichen die unterschiedlichen Kategorien, die von „Natur in Gedichten“ über „Glück und Freundschaft“ bis hin zu „Gedichte über Mut“ reichen. Kinder entdecken hier jedes Gedicht zunächst auf Deutsch. Zusätzlich werden die Gedichte in Originalsprache zur Verfügung gestellt.

Zu jede:r Dichter:in findet sich eine kurze kindgerechte Biografie mit Foto.

Die Auswahl an Gedichten wird stetig erweitert.

Lyrikline – Poesie für Kinder richtet sich auch explizit an Lehrkräfte der Klassen 3-6. Die interaktive Website bietet eine handverlesene Auswahl an Gedichten und eignet sich durch die übersichtliche und kreative Gestaltung als optimale Ergänzung des Lehrmaterials.

Kinder für Poesie zu sensibilisieren und Poesie für Kinder zugänglich zu machen ist schon immer ein wichtiges Anliegen des Haus für Poesie, weshalb es sich gemeinsam mit Partnern unter anderem erfolgreich für die Etablierung der „Lyrik-Empfehlungen für Kinder“ einsetzte. Denn seit dem Jahr 2024 werden zusätzlich zu dem Lyrik-Empfehlungen für Erwachsenen nun jährlich 11 Gedichtbände für Kinder empfohlen. Die Website Lyrikline – Poesie für Kinder ist ein weiterer wichtiger Schritt, da durch den kindgerechten Zugang Kinder nun online eigenständig Dichtung entdecken können.

– und inzwischen ins Netz gestellt:

Https://Kinder. lyrikline.org

Casanova, Mozart und Chopin

Am 2. April feierte man nicht nur in seinem Geburtsort Venedig den 300. Geburtstag Giacomo CasanovasArte hat ihm eine Dokumentation gewidmet, die besonders seine einzigartigen, schriftstellerischen Fähigkeiten hervorhebt und sein Leben endlich vom Klischee eines Don Juan befreit.

https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/eine-erinnerung-an-giacomo-casanova-93660946.html

Genau das habe ich auch in meinem Roman Die Nacht des Don Juan versucht, in dem Casanova neben Wolfgang Amadeus Mozart eine bedeutende Rolle spielt.

Am 3. Mai 2025, 12 Uhr, stelle ich im Rahmen der Schwetzinger Festspiele diesen Roman vor und unterhalte mich darüber mit dem SWR-Redakteur Alexander Wasner.

https://www.swr.de/swrkultur/musik-klassik/schwetzinger-festspiele/casanova-und-der-reiz-der-verfuehrung-100.html

Mit Mozart, Casanova und Chopins Variationen über ein bekanntes Thema verbunden, wünsche ich allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs ein sonniges Frühlingswochenende!