(Heute, am 23.06.2025, auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)
Die großen Ferien rücken näher und mit ihnen die Überlegungen meiner Freunde, wohin sie verreisen wollen. Viele haben sich noch nicht entschieden, weil sie diesmal keinen sportlichen oder kulturhistorischen Impulsen nachgehen, sondern die Folgen des Klimawandelns ernst nehmen.
Wenn es zum Beispiel laut langfristiger Wettervorhersagen in Italien frischer werden wird als bei uns zu Hause, erhält der Süden den ersten, starken Pluspunkt. Nichts wie hin, aber möglichst ans Meer, wo ein sanfter Wind am blauen Himmel weht, verbunden mit abendlichen Aufbrüchen zum Übernachten in den Berglandschaften an der Küste.
Dort findet man jene kulturellen Errungenschaften, die weitere Italienpunkte sammeln. Es sind die Niederlassungen des italienischen Agriturismo, dessen Vorzüge gegenüber traditionellen Unterkünften wie Hotels, Pensionen oder B&B für sich sprechen.
„Agriturismo“ nennt man unter Eingeweihten nämlich jene meist isoliert liegenden und ästhetisch ansprechenden Landhäuser mit landwirtschaftlichem Grundbesitz, dessen Erzeugnisse von den dazu gehörenden agrarisch orientierten Küchen serviert werden. Abends sitzt man in frei daliegenden, offenen Gärten, schaut auf die Terrassen des Haupthauses, trinkt den in der Nähe geernteten Wein und genießt das Öl aus den Olivenhainen gleich vor der Tür.
Die Speisen sind ausschließlich regionale und werden von Köchinnen zubereitet, die eine Kenntnis ältester Kochkulturen vor Ort mit einer während der Ausbildung erworbenen Kochkunst in der weiten Welt verbinden. Das servierte Pollo arrosto (gebratenes Hähnchen) hat noch den Boden der nahen Umgebung durchpickt und ist von solcher Qualität, als wäre es bei Meister Moissonnier zumindest kurz in die Aufnahmeprüfung gegangen.
Man isst daher individuell zubereitete Speisen, wie es sie nirgends sonst gibt, trinkt dazu einen Tropfen, der um die nächste Ecke produziert wird und lauscht dem Gespräch der Gäste aus den nahen Orten, die abends manchmal einfallen und ein großes Fest feiern. Taufe, Erstkommunion und Hochzeit sind die beliebtesten, aber auch Geburtstage von gerade einmal Zweijährigen werden mit dem vollen Aufgebot der Verwandtschaft so gefeiert, als habe das anmutige Kind bereits einen großen Verdienstorden des Landes für „Nichts und wieder nichts“ erhalten.
Wer sich Agriturismo nennen darf und wer nicht, wird von staatlicher Seite Jahr für Jahr streng kontrolliert. Viele Bedingungen müssen erfüllt sein: Der Anbau von Gemüse und heimischen Pflanzen, ein offener Speisesaal mit dazu gehörender großer Küche, Gästezimmer in überschaubarer Zahl und die Fähigkeit, die ländliche Umgebung so zu vertreten, dass ihre gewachsene und besondere ästhetisch-historische Gestalt mit in Erscheinung tritt.
Entstanden sind diese an ältesten römischen Traditionen des antiken Lebens orientierten Gebilde, um die Landflucht der Bevölkerung aufzuhalten, die agrarischen Kulturen zu stärken und den Gästen andere Versionen des Tourismus zu bieten als das Bad am überfüllten Strand oder die Führung durch eine Großstadt auf den immergleichen Wegen von einer Sehenswürdigkeit zum nächsten Instagramfoto.
Man glaubt sich in der ruhigen, stillen Schönheit dieser attraktiven Räume in das Landleben der alten Römer in den Bergen um die Ewige Stadt versetzt und denkt daran, dass antike Theoretiker wie Cato der Ältere mit der Schrift „De agricultura“ (Vom Ackerbau) oder der in der Nähe von Köln ansässige Apicius mit „De re coquinaria“ (Von der Kochkunst) einmal die Grundlagen für dieses sehr besondere Dasein fixiert haben.
Womit wir uns auf Umwegen mit dem Gedanken vertraut machen, irgendwann in die deutsche Heimat zurückkehren zu müssen, um endlich mal wieder ins Römisch-Germanische Museum zu gehen und Texte zu lesen, die uns an unsere eigene Vergangenheit erinnern.