In meiner Kindheit war Aschermittwoch ein ganz besonderer Tag. Vor der Schule ging es in den Gottesdienst, in dem die Gläubigen ein Aschekreuz auf die Stirn erhielten. „Memento homo, quia pulvis es et in pulverem reverteris“ (Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst) murmelte der Priester während der Zeremonie und erklärte uns später eindringlich, dass es höchste Zeit sei, Buße zu tun und an unser Lebensende zu denken. Während der Karnevalstage hatten wir blind gefeiert und die weiteren Perspektiven unseres kleinen Lebens außer acht gelassen. Jetzt aber war es vorbei mit dem „Frohsinn“, und wir hatten uns auf eine lange Fastenzeit einzurichten. Keine Süßigkeiten, keine lauten Lieder, einfaches Essen und Wasser aus der Leitung. Wir verließen die Kirche als Sünder und schlichen durch die Straßen. Das Aschekreuz wagten wir nicht abzuwischen, obwohl wir von den vielen Ungläubigen in der Nachbarschaft angestarrt wurden wie Gezeichnete. Während des Schulunterrichts waren wir kleinlaut, und in den Pausen schauten wir nach, ob die Asche wenigstens etwas blasser geworden war. Sie wurde aber nicht blasser, sondern begleitete uns den ganzen Tag. Am Nachmittag verließen wir die Wohnung nicht, an Spiele im Freien mit den anderen Jungs oder Mädels war nicht zu denken. Und als genügte das alles nicht, gab es am Abend saure Heringe. Wir verzogen das Gesicht, aßen die saure Speise in kleinen Mengen und hielten uns an die Pellkartoffeln. So bekamen wir drastisch zu spüren, was uns in den nächsten vierzig Tagen erwartete: Dunkles, Saures, Stille und Einkehr.