Die Nummer Eins

Gestern Nacht war es soweit: Roger Federer ist nach einem Dreisatzsieg über Robin Haase (4:6, 6:1, 6:1) wieder die Nummer Eins im Herrentennis – und das mit sechsunddreißig Jahren. Danach hat er sich ein Glas Moët & Chandon gegönnt, viele Interviews gegeben – und ein zweites Glas getrunken. Dass auch Literaten seine Spiele verfolgen (David Foster Wallace zum Beispiel hat darüber einen packenden Essay geschrieben), liegt an Federers Psychogestik, die extrem schwer zu deuten ist. Was geht in ihm vor? Und woran erkennt man, was gerade in ihm vorgeht? Federer wird nie laut, er spricht nicht mit sich, dem Gegenüber oder dem Publikum, sondern bleibt fast immer verschlossen. Eine so gnadenlose Verschlossenheit macht den Eindruck sich verstärkender Konzentration, die auch Raum und Zeit einbezieht. Federer schaut nicht nur, sondern fixiert: Als erstes den Gegner, dann den Ball, dann den Punkt, wo der Ball auftrifft. Ist ein Spiel zu Ende, sieht man ihm an, wie die Analyse die letzten Punkte durchgeht. Sie schwingt vom kurzen Moment zu den vielen Momenten, denn Federer hat ein Empfinden für die vergehende Zeit und was er tun muss, sie zu verlangsamen oder zu beschleunigen. Seine Schlussfolgerungen lässt das nächste Aufschlagspiel ahnen. So gesehen, ist er eine geheimnisvolle Gestalt. Ihr Geheimnis vertieft sich noch dadurch, dass er im realen Leben oft wie die Gutmütigkeit selbst oder wie ein grüner Junge erscheint, den drei Gläser Champagner bereits umwerfen könnten.