Literarische Ohrwürmer melden sich, wenn ein kleines Detail der Umgebung sie urplötzlich weckt und erinnert. Man hat sie seit ewigen Zeiten im Kopf, dort schlummern sie und warten darauf, erneut rezitiert oder deklamiert zu werden. Ja, sie wollen heraus, in die frische Luft, sie wollen gesprochen (und vielleicht sogar inszeniert) sein.
Während eines Spaziergangs erscheint derart plötzlich und zufällig das Bildmotiv der „hohlen Gasse“. Und sekunden-, blitzschnell regt sich die Erinnerung und der Ohrwurm aus Friedrich Schillers Wilhelm Tell (Vierter Aufzug, dritte Szene). Es spricht Wilhelm Tell:
Durch diese hohle Gasse muss er kommen,/ Es führt kein andrer Weg nach Küssnacht – Hier/ Vollend ichs. – Die Gelegenheit ist günstig./ Dort der Holunderstrauch verbirgt mich ihm,/ Von dort herab kann ihn mein Pfeil erlangen,/ Des Weges Enge wehret den Verfolgern./ Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt,/ Fort musst du, deine Uhr ist abgelaufen.
Der „Kracher“ dieser packenden, verhetzten und genialen Zeilen ist natürlich: Des Weges Ende wehret den Verfolgern … – zehnmal das E, zehnmal dieser nörgelnde, schärfer werdende, treibende Vokal – und außerdem nur ein offenes O. Eeeeeeee – O!
Den ganzen Tag über initiiert diese Zeile das Drama eines Lebens, laufend, als stünde der Abschuss des Pfeils wirklich unmittelbar bevor …