Karwoche – Meditation 2

Mit dem Einzug Jesu in Jerusalem beginnt die eigentliche Leidensgeschichte. Jesus selbst scheint das genau zu wissen, denn sonst hätte er sich nicht für eine derart auffällige Inszenierung entschieden: Der Herrscher (der kein weltlicher Herrscher sein will) zieht auf einem Eselfüllen in die große Stadt ein, wo er den weltlichen Herrschern entgegen treten wird. Sie werden ihm den Prozess machen, auch das weiß er längst. Damit die Inszenierung glaubwürdig wirkt und „die Bilder stimmen“, ist Jesus auf Menschenscharen angewiesen, die am Wegrand stehen oder ihn sogar begleiten.

Im Matthäus-Evangelium geht dem Einzug die Heilung von zwei Blinden voraus. Sie lockt ganze Scharen von Neugierigen an. Diese folgen dem Wundertäter und begleiten ihn schließlich sogar bis in die Stadt: Mal schauen, was er noch alles tun wird! Es ist vor allem die Landbevölkerung, die so etwas sehen will und sich Jesus anschließt. Als er den ersten Städtern begegnet, sind die skeptisch: Was will dieser Mann, der auf einem Esel in unsere Stadt einreitet? (Sie haben keinerlei Verständnis für eine derart massive Inszenierung, und sie verstehen die Anspielungen nicht …)

Im Markus-Evangelium geht dem Einzug in Jerusalem nicht die Heilung von zwei Blinden, sondern nur die Heilung eines einzigen Blinden (eines Bettlers) voraus. Das Ergebnis ist aber ähnlich: Die Landbevölkerung schließt sich Jesus an und bricht in Jubelrufe aus: „Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!“

Im Lukas-Evangelium begeistert Jesus die Menschen ebenfalls durch die Heilung eines Blinden. Danach reitet er aber nicht sofort in Jerusalem ein, sondern widmet sich zuvor noch Zachäus, einem reichen Zöllner, der ihn in sein Haus einlädt und in ein Gespräch verwickelt (einige Gleichnisse, die Jesus während dieses Gesprächs erzählt, wirken an dieser Stelle gefährlich retardierend). Anscheinend hat die dadurch entstehende, etwas längere Unterbrechung zur Folge, dass die Jesus begleitenden Scharen nun erheblich kleiner sind als in den Schilderungen von Matthäus und Markus. Bei Lukas ist nämlich fast nur noch von den Jüngern die Rede, die Jesus begleiten, Scharen sind es jedenfalls nicht. Also muss der kleine Kreis der Jünger die Jubelgesänge übernehmen: „Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn!“ (Die Jünger singen vom „König“, sie malen das Bild aus, sie halten sich nicht mehr zurück. Prompt wenden sich die Pharisäer an Jesus: „Meister, weise doch deine Jünger zurecht!“)

Der Evangelist Johannes schließlich erzählt (wie so oft) die dramatischste und komplizierteste Version vom Einzug in Jerusalem. Jesus heilt bei ihm keine Blinden, sondern erweckt den toten Lazarus zum Leben. Einen solchen Wundertäter wollen viele Menschen sehen. Johannes erzählt aber nicht sofort von den Scharen, die Jesus sehen wollen, sondern blendet (völlig überraschend und mit einem großen Sinn für Effekte) über zum Rat der Hohenpriester und Pharisäer. Sie sind in hellem Aufruhr über die vielen Gerüchte, die sich über Jesu Wundertaten verbreiten. Da das Passafest nahe ist, fürchten sie seinen Auftritt in Jerusalem. Wird er wirklich kommen? Wird er alles aufs Spiel setzen und die Auseinandersetzung suchen? Johannes lässt einige Tage vergehen, und er lässt Jesus noch einmal zu Lazarus zurückkehren, den er von den Toten auferweckt hatte. Als sich die Kunde von diesem Wiedersehen in Jerusalem verbreitet, sind es nun die Städter (!), die Jesu aus der Stadt entgegen (!) gehen. Und es sind genau diese gebildeten, die Anspielungen des Eselsritts verstehenden Städter, die (noch klarer und überschwänglicher als die Jünger) das Loblied singen: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!“ Die Formulierung vom „König von Israel“ spitzt alles auf extreme Weise zu. Jetzt wird es darauf ankommen, ob und wie sich Jesus zu dieser Zuschreibung (oder anderen Zuschreibungen) verhält. Welche Rolle (oder Rollen) wird er in Jerusalem übernehmen? Wie wird sein persönliches Bekenntnis aussehen? (Fortsetzung folgt)