Karwoche – Meditation 3

Mit dem Einzug Jesu in Jerusalem wird seine (bisher noch halbwegs versteckte) Konfrontation mit den Pharisäern und Schriftgelehrten ganz offen und deutlich sichtbar. Die beiden Fronten verhärten, nehmen Kontur an und treiben die gegenseitigen Provokationen exzessiv bis zum öffentlichen Prozess.

Matthäus, Markus und Lukas erzählen diese Phase der sich beschleunigenden Auseinandersetzungen ganz ähnlich (und manchmal sogar mit demselben Vokabular). Sie beginnt damit, dass Jesus die Verkäufer und Geldwechsler aus dem Tempel treibt, setzt sich fort in den harten Worten, die Jesus während der Folgetage für die Pharisäer und Schriftgelehrten findet, führt zu deren Entschluss, Jesus den Prozess zu machen, und endet damit, dass Jesus seine Jünger zum gemeinsamen Abendmahl versammelt (Matthäus 21,1-26,30; Markus 11,1-14,26; Lukas 19,28-22,20).

Diese Partien der drei Evangelien gehören zum Wunderbarsten (und für das Verständnis Schwierigsten) des ganzen Neuen Testaments. Sie beziehen ihre große Schönheit gerade daraus, dass es in ihnen nicht um konkrete Zeichen, Aktionen oder Wunder geht, sondern eher darum, dass Jesus dazu aufgefordert wird, sein Dasein, seine Botschaft und deren Aufgabe genauer zu bestimmen. Zum einen erwarten die Jünger mehr Klarheit über die Konturen der prophetischen Sendung, zum anderen aber (und das ist das Außerordentliche, Besondere, Einzigartige) macht Jesus sich selbst daran, seine Herkunft, sein Dasein, seine Stellung und deren Bedeutung für die Menschen (und für welche, bitte schön?) zu erkunden.

Kurz bevor das Geschehen endgültig eskaliert und es zum Prozess kommt, ist Jesus ununterbrochen mit diesen Themen und möglichen Antworten (auf Probe) beschäftigt. Er hält keine langen Predigten, sondern er befragt sich selbst, ja, er gerät ins Philosophieren über seine eigene Existenz und deren Beziehung zu dem, den er mal Vater, mal Gott oder auch den Herrn des Himmels nennt. Dieses Philosophieren bleibt in der Schwebe, es greift nach  immer neuen Gleichnissen, es stellt sich selbst zur Rede, aber es ergibt keinen abgerundeten Sinn. Eins fügt sich keineswegs ins andere, sondern Jesus beginnt immer wieder von neuem, die eigene Botschaft zu hinterfragen und zu konturieren.

Wenige Tage vor dem Prozess, der ihm dann mit aller Härte gemacht wird, entwickelt er sich zum Existenzphilosophen – herausgefordert dadurch, dass im drohenden Prozess jedes seiner Worte sitzen muss und es keine vagen Umschreibungen seiner Sendung mehr geben darf. Als baldiger Angeklagter muss er wissen, wer und was er ist. Weil er das vor Augen hat, treibt es ihn derart um, und es entsteht jene ungeheure innere Unruhe, von der er zuvor noch nie in einem solchen Ausmaß befallen war.

Und wie ist es bei Johannes (12,12-17,26)? Johannes intensiviert das Philosophieren Jesu, bis hin zu den dunkelsten Worten über seine Existenz und deren Aufgabe. Dabei werden die elementaren Themen seiner Mission nacheinander (wie Schwergewichte der Nachdenklichkeit) in großem Stil behandelt: Der Weg zum Vater, die Werke des Heiligen Geistes, die Bedeutung des Friedens, der Sinn der Liebe – und schließlich das alle diese Momente vereinende, weit ausholende Gebet. Neben diesen Bohrungen in den Tiefen von Religion und spiritueller Emphase hat kein anderes „Geschehen“ mehr Platz – und so wundert es einen nicht, dass der Evangelist Johannes das Abendmahl nicht in seine Leidenserzählung aufnimmt, sondern auslässt.

Für die anderen drei Evangelisten ist das Abendmahl aber jene starke Szenerie, in der Jesus zusammen mit seinen an einem gemeinsamen Tisch versammelten Jüngern endlich zur Ruhe kommt. Das Philosophieren schlägt um in Gestaltmetamorphose – und damit in „Verwandlung“ und „Wandlung“ … (Fortsetzung folgt)