Karwoche – Meditation 4

Das Geschehen des Abendmahls erzählen die drei Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas mit geringen unterschiedlichen Akzenten. Alle Drei halten sich aber an die besondere Dramaturgie: Das Abendmahl ist das Ende von Jesu Selbstbefragung und Philosophieren vor seiner Passion. Und das Abendmahl ist gleichzeitig deren Auftakt. So dass drittens im Hintergrund schon die Aktionen anlaufen, die zur Gefangennahme Jesu führen (Judas nimmt Kontakt mit den Hohenpriestern auf und verhandelt die Geldsumme für den Verrat).

Der Verräter sitzt mit am Tisch (!), als das Abendmahl beginnt. Die Ungeheuerlichkeit dieser Szene kehrt Jesus bewusst hervor, indem er diese Tatsache anspricht: Einer von Euch (der in diesem Moment unter uns sitzt) wird mich verraten! Die großen abendländischen Maler (Leonardo da Vinci, Jacopo Tintoretto) fanden gerade an diesem dramatischen Moment Gefallen. Anders als die Teilung des Brotes und das Trinken des Weins ist es kein stiller Moment, sondern einer, der es erlaubt, jede einzelne Apostelfigur in einer besonderen Gebärdensprache einzufangen: Meint Jesus mich? Bin ich‘ s? Aber er spricht doch nicht von mir! Aber doch nicht ich! Es gibt daher zweierlei Formen von Abendmahl-Bildlichkeit: Die des gemeinsamen, konzentriert und ruhig eingenommenen Mahls (von Brot und Wein). Und die des erregten, aufgebrachten und äußerst unruhigen Debattierens der Jünger, wer der Verräter sein könnte.

Das Mahl (und gemeint ist anfangs noch lediglich das jüdische Festmahl zum Passafest und damit das Verzehren des Passalamms) ist in vollem Gang, als Jesus selbst die beiden entscheidenden, endgültigen, den neuen Glauben begründenden Akzente setzt: Das Brechen des Brots, das ebenso wie der Kelch mit Wein an die Jünger weitergereicht wird, damit sie davon essen und trinken. Mit diesen beiden Gesten und den besonderen Deutungen, die Jesus ihnen verleiht, existiert der Bund eines neuen Glaubens. Das Abendmahl ist kein Mahl mehr wie viele andere zuvor, die Jesus mit den Jüngern eingenommen hat. Es ist vielmehr das Mahl, das die Mitglieder der neuen Glaubensgemeinschaft von nun an gemeinsam begehen werden, um sich von neuem als gläubige Christen (an Christus Glaubende) zu beweisen und zu verstehen.

Die Gemeinschaft des Mahls ist daher die Urszene der christlichen Liturgie. Sie verwandelt jeden Gottesdienst (anstatt bloß Szene=Drama=Theater zu sein) in die Szenerie einer inneren Anteilnahme. Nicht mehr draußen, auf den Bühnen der Welt, spielt „das neue Geschehen“, sondern innen, in jedem einzelnen Gläubigen. Johann Sebastian Bachs große Matthäus-Passion (die Musik der letzten Tage vor Ostern) beginnt mit dieser Verwandlungsszene und erzählt, von ihr ausgehend, die Passion: Da sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankete und brach’s, und gab’s den Jüngern und sprach …