Im achten Stock von Deutschlands coolster und asiatischster Bibliothek ist an diesem Abend Herr Katō zu Gast. Vor kurzem wurde er in Rente geschickt, und nun dreht er einsame Spaziergänge durch die Straßen der Stadt und gerät in ein unaufhörliches Grübeln: Was als nächstes tun, ohne sich zu langweilen? Wen anreden? Welche Abenteuer wo suchen? Wie sich noch weiter mit der Ehefrau unterhalten, die zu Hause auf ihn wartet und während dieses Wartens was, bitte schön, tut?
Herr Katō hat auf all diese Fragen keine Antwort, ein Glück, dass er von Milena Michiko Flašar begleitet wird, die gerade den Roman Herr Katō spielt Familie (Wagenbach Verlag) veröffentlicht hat. Die junge Autorin hat sich, wie der Titel ihres Romans bereits andeutet, etwas Abenteuerliches und Anspruchsvolles für Herrn Katō ausgedacht. Als Spieler und Schauspieler soll er für die Agentur „Happy family“ arbeiten und in diversen Szenen des wahren Lebens kurzfristig ein Scheinleben (als möglicher Exmann, als möglicher Opa eines Enkels usw.) führen, das vielen, die das wahre Leben vermissen, etwas davon beschert.
Milena Michiko Flašar begleitet Herrn Katō so, dass sie nun selbst wiederum einige Szenen aus ihrem Roman liest und spielt, und sie macht beides so, dass sie ihre hohe, (zugleich in der Nähe von Wien und Japan) gut geschulte Stimme einerseits intonieren, andererseits aber auch schauspielen lässt. Als Zuhörer lebt man schon nach den ersten Sätzen im Kopf von Herrn Katō und ist sehr erstaunt, wie genau er beobachtet, wie empfindlich er fühlt und wie er dem Alltag dabei einen inneren Schwung abgewinnt, mit dessen Hilfe er sich aller Rentnertristesse entledigt. Es ist sehr wohltuend, an diesem Schwung zu partizipieren, man denkt sich schon bald selbst in eine gewisse Spielfreude und Spiellust hinein, dies und das würde man nun gerne ausprobieren und die perfekt ausgerichtete coole Bibliothek einmal ordentlich (aber auf asiatisch anmutige Weise) auf den Kopf stellen.
Als man anderthalb Stunden nach Beginn einer wunderbaren Lesung dann in einem Aufzug acht Stockwerke hinab auf die Erde gleitet, hat man unaufhörlich noch das Intonieren und Spielen von Milena Michiko Flašar im Ohr, die eine der feinsten und variantenreichsten Lesestimmen besitzt, die man seit langem gehört hat. „Am Himmel Flugzeugspuren“ summt es in einem nach, das ist leider nur Deutsch und eine Übersetzung aus einem Lied des Sängers Hanaregumi, auf den die Lesestimme zuletzt verwiesen hat. Man verlässt dann die Bibliothek und schaut gleich in den Himmel – und da sieht man in der Tat die letzten Spuren des Flugzeugs, in dem Herr Katō gerade wieder nach Japan entgleitet, während in einem kleinen Eckrestaurant nebenan viele Menschen vor einem Fernseher sitzen, um die Elf von Bayern München gegen Real Madrid ein Spiel namens Fußball spielen zu sehen.