Das Wohnen des Lebens 2

Die Frage nach dem Wohnen (und damit nach Zimmern, Wohnungen, Häusern und ihren Umgebungen) ist auch eine, die Schriftstellerinnen und Schriftsteller zum Beispiel während der Arbeit an Romanen intensiv beschäftigt. Viele haben sehr präzise Vorstellungen davon, welche Räumlichkeiten sie ihren Figuren bauen und zimmern. Und viele tun das sogar ganz konkret, indem sie Zeichnungen und Skizzen anlegen, die das Wohnen der Figuren verdeutlichen und festhalten.

In dem von Winfried Nerdinger herausgegebenen Buch Architektur wie sie im Buche steht. Fiktive Bauten und Städte in der Literatur findet man (ab Seite 340) ein eigenes Kapitel zu diesem Thema: Die Zeichnung des Dichters. Gustave Flaubert hat einen Lageplan der Straßen und Häuser jenes kleinen Ortes angefertigt, in dem sein Roman Madame Bovary spielt. Thomas Mann hat das erste Obergeschoss des Hauses, in dem die Familie der Buddenbrooks einmal gelebt hat, als Gedächtnisstütze skizziert. William Faulkner hat das fiktive Yoknapatawpha County, in das er viele seiner Geschichten verlegte, auf einer minutiös gezeichneten Landkarte mit sämtlichen Ausfallstraßen und Nachbardörfern gezeichnet. Und Umberto Eco hat die große, labyrinthische Bibliothek, die in Der Name der Rose eine zentrale Rolle spielt, bis in jeden kleinen Winkel studiert und beschriftet.

Auch als Leser könnte man ähnlich vorgehen. Vladimir Nabokov hat sich auf seine Vorlesungen über Die Kunst des Romans vorbereitet, indem er zum Beispiel das Haus Leopold Blooms im Ulysses von James Joyce liebevoll aus mehreren Perspektiven zeichnete und diese Zeichnungen dann mit vielen Notizen zu Details des Baus dekorierte.

Skizzen, Zeichnungen, Lage- und Stadtpläne bedeuten einerseits Festlegungen, setzen andererseits aber auch immer neue imaginative Felder und Zeichen in Bewegung. In diesem Sinn sind sie enorme kreative Impulse, die sich umtun, bestimmte Figuren anheuern, andere verabschieden und von sich aus Geschichten inszenieren, die nur in gerade diesen Räumlichkeiten möglich sind.

Liebe Leserin, lieber Leser: Wäre es nicht das Experiment wert, einmal den Raum/die Räume einer bestimmten, bereits vorliegenden Geschichte einer bekannten Autorin oder eines bekannten Autors zu zeichnen? Wenn ja, bin ich neugierig und erwarte den Versuch unter ortheil.hannsjosef@gmail.com …