Am Piano 1

Eine Freundin hat mir empfohlen, My Piano Dolce Vita der Pianistin Olivia Belli zu hören (im Netz leicht abrufbar). Das sind zweiundzwanzig Klavierbearbeitungen von Filmmusiken bekannter italienischer oder italo-amerikanischer Komponisten.

„Ich würde es am frühen Abend versuchen“, schrieb meine Freundin, und als ich genau das tat, wurde mir klar, warum. My Piano Dolce Vita passt zum frühen Abend, weil man glaubt, mit Olivia Belli in einer Bar zu sitzen. Es ist eine weite, offene Bar, der Flügel hat einen Platz am Rand, die ersten Barbesucher treffen gerade ein – und Olivia Belli spielt, als träumte und improvisierte sie diese Stücke wie Erinnerungen, die langsam aus dunklen Tiefen des Gedächtnisses aufsteigen.

Gute Barmusik spielt mit solchen Reminiszenzen an starke, emotionale Augenblicke, betont sie aber nicht, sondern lässt sie im Hintergrund aufschimmern und sofort wieder verblühen. Sie ist ein ganz eigenes, noch viel zu wenig gewürdigtes Genre, an dem ich immer meine besondere Freude hatte.

Eine Zeitlang habe ich (als junger Mann) mein Auskommen mit solcher Musik gesichert, namenlos, ohne dauerhafte Präsenz an einem einzigen Ort, mal hier, mal dort. Einige Barpianisten kenne ich auch selbst – und das seit langem. Tagsüber bleiben sie anonym, meiden starkes Sonnenlicht und sind so voller Musik, dass sie wochenlang Nacht für Nacht spielten könnten, ohne sich ein einziges Mal zu wiederholen.