Zum Glück gibt es in den beiden Städten, in denen ich abwechselnd lebe, große Musikhochschulen. Ich gehe selten hinein, weil mir das Hineingehen (ich sage es jetzt mal pathetisch:) „das Herz bricht“. Und das vor allem, wenn ich junge Musiker üben höre. ‚So’, denke ich (in meiner Rolle als alter Versager), ‚hast Du auch mal geübt, Phrase für Phrase, zigmal hintereinander. Aber es ist nichts daraus geworden, Du hast es einfach nicht gepackt.’
Nun gut, das ist Vergangenheit. In der Gegenwart habe ich eine andere Methode gefunden, heimlich in die Werkstätten und Überäume zu schlüpfen. Ich gehe langsam außen am Gebäude der Hochschule vorbei und horche. Manchmal steht ein Fenster auf, und Musik dringt nach draußen.
Viele der Stücke, die ich zu hören bekomme, kenne ich gut, manche Takt für Takt. Unter ihnen gibt es in den schönsten Momenten ganz rare – und das sind Stücke von Schubert. Sie klingen, als kämen sie aus dem Nichts und würden von körper- und schwerelosen Menschen gespielt. Oder so, als würden sie von fernen Wesen geträumt. Eigentlich sollten sie gar nicht zur Aufführung kommen, sondern aus einem Versteck oder von einer entlegenen Insel her klingen. Materielos, transgalaktisch, nichts für Instrumente, Hände und Körper.
Wenn Du ein solches Stück (und am besten ein kurzes, für zwei Musiker) durch das geöffnete Fenster einer Hochschule hörst, fährst Du ab. Nach innen, nach oben, ins All. Bleib ganz still, höre zu und pass auf, dass Du das Klingen und Säumen eine Weile in Dir behältst. Es rettet Dir die nächsten, leichter gewordenen Stunden.
(Kurzes Beispiel – Franz Schubert: Fantasie in C-Dur (D 934), erster Satz: Andante molto, gespielt von Isabelle Faust und Alexander Melnikov)