Ich habe Papst Franziskus von Wim Wenders gesehen, und es ist ein Film, wie ich ihn in dieser Art noch nicht gesehen habe. Es ist keine Dokumentation, und es ist auch kein Gespräch – und doch gibt es beide Momente. Die dokumentarischen lagen Wenders anscheinend vor und kamen aus den Filmarchiven des Vatikans. Die Gespräche mit dem Papst wiederum hat er selbst gedreht, in den Vatikanischen Gärten und im päpstlichen Arbeitszimmer, aber so, dass er seine Fragen weggelassen hat und man nur Franziskus-Monologe sieht. Dabei blickt einen der Papst ernst, belustigt, nachdenklich oder auch traurig an – man bekommt die ganze Palette möglicher Emotionen mit und fragt sich laufend: Mit wem redet er eigentlich gerade? Mit den Gläubigen? Mit dem Menschenvolk ganz allgemein? Oder etwa mit mir?!! (Panik!)
Die Überraschung besteht darin, dass er wirklich mit dem einzelnen Zuschauer redet. Er schaut einem direkt in die Augen und will einen treffen, berühren, bewegen. Aber er tut das nicht von oben herab und auch ohne nennenswertes Moralisieren. Und doch redet er unverkennbar auf einen ein: Schlicht, verständlich, präzise, in mehreren etwa gleich langen Anläufen, die ganz nebenbei Kapitel des Films sind.
Jedes Kapitel hat ein Thema: Die Flüchtlingspolitik der (viel zu reichen) Staaten, die Umweltpolitik, den Umgang mit den Armen und Kranken, den Umgang mit der (oft arbeitslosen) Jugend, den Umgang der Menschen miteinander (in Familien, Freundschaften, in der Liebe), den Umgang mit anderen als christlichen Religionen, den Umgang mit Homosexualität. den Umgang mit pädophilen Priestern, den Umgang mit Reichtum allgemein, Geld, Prahlerei.
Jedes Thema wird anhand einer oder mehrerer Passagen aus der Bibel (oder aus den Texten des heiligen Franziskus) umkreist, ohne dass dieser Bezug aufdringlich wirken würde. Man bemerkt ihn sogar kaum, sondern muss – ha! – vielmehr hellwach und ein wenig erfahren sein, um die versteckte „Methode“ genau zu erkennen …
Durch den Bezug auf ältere, „wegweisende“ Texte erhalten die päpstlichen Monologe etwas von Predigten. Das aber nicht im langweiligen, herkömmlichen Sinn. Franziskus „predigt“ nicht mit „wohlgesetzten“ Worten, sondern resümiert, erläutert, fragt und orientiert sich an antiken Vorbildern: An Texten der Lebensklugheit, in denen antike Autoren darüber nachgedacht haben, wie man leben könnte/sollte. Die „Rede“ ist also vom „guten/richtigen“ Leben und damit von den Möglichkeiten des Einzelnen, so zu leben, dass er nicht nur für sich, sondern mit dem Blick auf die Sorgen und Ängste der anderen lebt. Und auf diesem Weg zu einem „eigenen“ Leben findet.
Christliche Selbstbefragung und antikes Philosophieren begegnen sich also, und genau diese Begegnung macht das besondere „Predigen“ in diesem Film aus.
Wim Wenders hat das alles geschickt und mit einem klug ausgedachten Konzept komponiert. Auch die dokumentarischen Teile sind nicht zum Gähnen, sondern zeigen die Lebenspraxis (der Zuwendung, der Anteilnahme) zum Philosophieren über das „richtige Leben“, das den Papst so beschäftigt. Natürlich, Franziskus bieten sich auf seinen Reisen und Audienzen große Möglichkeiten an, „gut“ und „weise“ zu sein. Solche Möglichkeiten haben wir nicht. Wenn man den Film gesehen hat, spürt man aber zumindest für einige Stunden das päpstliche Feeling – und ist plötzlich so „gut“ und den anderen zugewandt und so zurückhaltend und einfach so „franziskanisch“ wie schon lange nicht mehr …