Heute vor einhundertfünfzig Jahren wurde der Dichter Stefan George in Büdesheim (bei Bingen) genau dort geboren, wo die Nahe in den Rhein fließt. Viele seiner Gedichte gehören zu den schönsten, die jemals in deutscher Sprache geschrieben wurden.
Vierzig von ihnen stellen Ute Oelmann (frühere Leiterin des Stefan George Archivs der Württembergischen Landesbibliothek) und Wolfgang Braungart (Literaturprofessor an der Universität Bielefeld) in dem Band Dies ist ein lied für dich allein (Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung Mainz 2018) vor.
Statt Gedicht für Gedicht zu „interpretieren“ (und durch den Fleischwolf von Strophenschemata, Bildern eines „lyrischen Ichs“ oder (besonders scheußliches Wort!) „Herangehensweisen“ des Dichters zu drehen), führen sie sehr genaue und hellwache „Lesarten“ der Gedichte vor. Keine gleicht dabei der anderen. Jede beginnt mit einem Staunen: über eine erste Zeile, über den Verlauf eines Gedichts, über einzelne Wörter.
So entspannt und aufmerksam sollte man sich großen Gedichten nähern. Man sollte vermeiden, sie stupiden Deutungsregeln zu unterwerfen, die sich die kleinen Beamten der Didaktik ausgedacht haben. Und man sollte die einzelnen Gedichte in unterschiedlichem Tempo, zu den verschiedensten Tag- und Nachtzeiten lesen, um ihnen immer wieder neue Stimmungen und Traumcharaktere zu entlocken. So gesehen, bestehen Gedichtlektüren aus konzentriertem, abwechslungsreichem Lesen. Im Kopf des Lesers hinterlassen sie dann rare Wortfelder, die Erfahrungen und Blickstudien des Lesers aufbewahren.
Dies ist ein lied
Für dich allein:
Von kindischem wähnen
Von frommen tränen..
Durch morgengärten klingt es
Ein leicht beschwingtes.
Nur dir allein
Möcht es ein lied
Das rühre sein.