Mein Patenkind (12 Jahre, weiblich) begleitet mich nun auch für ein paar Tage in den fernen Landstrichen, in denen wir uns gerade aufhalten. Es überrascht mich immer wieder mit seinen seltsamen Riten, denen ich meist fasziniert folge, um zu testen, ob sie auch für mich taugen.
Wenn es irgendwo im Freien ein Buch liest und sich konzentrieren will, streift es Kopfhörer über und hört zur Lektüre Hintergrundgeräusche. Dabei geht es nie um Musik, sondern um Lautkulissen, die angeblich etwas extrem Entspannendes haben. Die reale Umgebung wird so ausgeblendet und verschwindet, und wenn man die Augen schließt, glaubt man, ganz woanders zu sitzen. Zum Beispiel in einer großen Bibliothek (im Netz gibt es sogar Bibliothekgeräusche mit leichtem Regen gegen die Fenster, die laufen zwei Stunden). Oder in einem Kaffeehaus oder im Wald (besonders beliebt: Naturgeräusche) oder in einem Flugzeug.
Ich habe es mit den verschiedensten Geräuschkulissen versucht, es klappt aber nicht. Denn ich höre so intensiv auf den Hintergrund, dass ich das Lesen darüber fast vergesse. Schlimmer noch: Ich vermische die Geräusche mit meiner Lektüre. Gerade habe ich noch einmal den Alten Mann und das Meer (spielt in Kuba, bei bestem Wetter) angelesen – und es regnete sanft und malerisch ununterbrochen. Ich werde Hemingways Erzählung umschreiben müssen: Er war ein alter Mann, der während des schweren Regens allein in seinem kleinen Boot im Orkan des Golfstroms fischte, und er hatte jetzt vierundachtzig Tage hintereinander den Regenböen getrotzt, ohne einen einzigen Fisch zu fangen …
(Frage: Welche Hintergrundgeräusche benutzen meine Leserinnen und Leser während des Lesens?)