Kölsche Verblüffung

Mein Freund Herbert, 42 Jahre, Graphiker, in Leipzig geboren und dort lebend, ist zum ersten Mal in Köln bei mir zu Besuch. Und: Er fasst es nicht! Eine ganze Stadt trinkt Kölsch, überall, in den Kneipen und Brauhäusern, auf der Straße, auf ihren Plätzen, in allen Veedeln. Fast ausschließlich Kölsch wird getrunken, ein Meer von Kölsch wird täglich gelöscht – und getrunken wird es ebenfalls ausschließlich nur aus der Stange, dem schlanken, zylindrischen Glas, 0,2 Liter! Wo gibt es das sonst auf der Welt – diese Ausschließlichkeit, diese hochgradig ästhetische und kulinarische Disziplin, diese Hingabe einer Millionenstadt an ein einziges Getränk!

Ich versuche zu erklären, dass Kölsch die Wurzel des kulturellen Gesamtgebräus dieser Stadt ist. Ein Getränk, das Lieder, Songs, Musik, Texte, Theater und Filme hervorbringt, die von seinem leichten, sehr speziellen Charakter geprägt sind. In allem, was in Köln an Kulturellem geschieht, steckt Kölsch, so dass Friedrich Nietzsche seine berühmte Abhandlung (über die Geburt der griechischen Tragödie aus dem Geiste der Musik) im Blick auf Köln hätte umschreiben können: „Die Geburt der Kölschen Kultur aus dem Geiste des Kölsch“. Das ist es – und es ist für Außenstehende wirklich schwer zu begreifen.

Zum richtigen Kölschgenuss gehören, erkläre ich weiter, keine großen Mahlzeiten. Im Gegenteil, die großen Mahlzeiten löschen die Kölsch-Inspiration, sie passen in ihrer Fülle nicht zu seinem Elan und Schwung. Essen sollte man zu einigen Glas Kölsch (und drei müssen es mindestens sein, sonst bleibt die Inspiration flach und vor den Gehirnzonen dummherum abwartend stehen) wiederum ausschließlich die dazu gehörenden Kölsch-Minima. Essensandeutungen, die sich nicht aufspielen: Mett-Happen mit Zwiebeln und Schnittlauch, Tatar-Happen mit Zwiebeln und Gürkchen, Halver Hahn (Holländerkäse, lange gereift) mit Röggelchen und Butter, Kölscher Kaviar (Blutwurst) mit Röggelchen, Zwiebeln und Butter. Alles andere, behaupte ich, ist „Kappes“ und lenkt nur ab.

Zwei Tage lang sind wir meinem (was das Essen betrifft) minimalistischen Kölsch-Programm gefolgt und haben (was das Trinken betrifft) allerhand Kölsch-Stangen geleert. Herbert wird wiederkommen – und das schon sehr bald!