In Mainz wurde unterhalb der heutigen Römer-Passage mitten in der Innenstadt die Statuette eines küssenden römischen Paares (aus dem ersten Jahrhundert nach Christus) gefunden. Vor ein paar Tagen habe ich sie zum ersten Mal gesehen – und war überrascht. Ich sammle kleine Statuetten römischer Figuren und besitze einige, die wie eine verschworene Gemeinschaft bei mir zuhause an einem besonderen Platz stehen und mich an meine Lateinlektüren erinnern. All diese Statuetten sind aber Einzelfiguren, ein küssendes Paar hatte ich noch nie gesehen.
Das Schöne daran ist, dass die Gestalten von Mann und Frau wie zu einem engen Block zusammengeschmolzen sind. Nicht zwei verschiedene Körper lehnen sich einander an oder „tauschen“ einen Kuss, die Körper sind vielmehr ähnlich (mit Übermantel) gekleidet und verschwinden unter diesen Bekleidungen. Die Armgeste der Frau verbindet beide Figuren, der Arm des Mannes ist nicht erkennbar, nur die Hand ist zu sehen.
Die Ähnlichkeit der beiden Paargestalten ist sogar so groß, dass man nur schwer entscheiden kann, ob es sich hier überhaupt um Mann und Frau handelt. Der Frage kommt man näher, wenn man die Statuette umdreht: Dann erkennt man einen weiblichen Haarknoten und das kurz geschorene Haar des Mannes.
Der Kuss besiegelt eine Nähe, eine Zusammengehörigkeit. Es ist kein fordernder, forschender, erotischer, sondern der Kuss eines Paares, das sich gut kennt und vertraut.
Als ich die beiden Vertrauten so anschaute, erinnerte ich mich unwillkürlich an die neugierigeren, explosiven Küsse, auf die eine bildnerische Moderne spätestens seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts setzt (Kuss. Von Rodin bis Bob Dylan. Katalog zur Ausstellung im Bröhan Museum, Berlin 2017). Man sollte beide Formen nicht vernachlässigen, dachte ich und stellte eine Kopie der kleinen Statuette in meine Sammlung.