Literaturnobelpreis

In diesem Jahr wird der Literaturnobelpreis aus den bekannten Gründen nicht vergeben. Das ist vor allem deshalb schade, weil es ein Preis mit weniger regionalen als weltliterarischen Perspektiven ist. Im besten Fall wurden also Autorinnen und Autoren ausgezeichnet, deren Texte die geschichtlichen Erfahrungen von Bewohnern bestimmter Länder oder Sprachkontinente auf symptomatische Weise enthielten oder abbildeten.

Unter den deutschsprachigen Nobelpreisträgern seit 1945 waren das zum Beispiel Heinrich Böll und Günter Grass. Beide beschäftigten sich mit typischen Protagonisten der Nachkriegs-BRD, mit all ihren Störungen und Schäden. Eine Autorin oder ein Autor der Nachkriegs-DDR ist nie ausgezeichnet worden, was man längst für einen großen Fehler halten muss. Uwe Johnson zum Beispiel hätte diese Auszeichnung verdient gehabt, kein anderer Autor hat den deutschen Osten und die Geschichte seiner Nachkriegsjahrzehnte auf derart hohem ästhetischem Niveau porträtiert.

Nobelpreisverleihungen für Literatur haben dabei oft mit Namen überrascht, die man hierzulande kaum kannte. Erforschte man die Hintergründe, erfuhr man nicht selten viel Neues und Berührendes über weit entfernte Räume der Erde. Pablo Neruda (Chile), Gabriel García Márquez (Kolumbien), Derek Walcott (Karibik), Toni Morrison (USA), Wisława Szymborska (Polen) – sie alle haben dichtend oder erzählend ganze Welten erschlossen. Genau das ist die Aufgabe dieses Preises: Die Stimmen einer Bevölkerung und ihrer Lebenssphären zum weltweiten Klingen zu bringen.