Latein war meine erste Fremdsprache, als ich auf ein humanistisches Gymnasium ging. Sie zu lernen, empfand ich auch deshalb als reizvoll, weil alle Schüler von demselben Nichtwissen ausgingen. Keiner von uns sprach ein einziges Wort Latein, und keiner hatte von so etwas Seltsamem wie einem „Ablativ“ bereits gehört. Wir starteten also alle (gleichberechtigt) bei Null, begannen mit den einfachsten Sätzen und lernten, dass eine Sprache ein sich auf logische Weise erschließendes System ist.
Die Beschreibung dieses Systems ermöglichten die grammatikalischen Begriffe. Mit ihrer Hilfe benannte man die Satzglieder und die Beziehung der einzelnen Glieder zueinander. Stand das Substantiv (gallina – die Henne) im Singular, so stand das in einem Satz dazu gehörende Verb (clamare – schreien/gackern) in der dritten Person Singular (gallina clamat – die Henne schreit/gackert). Stand das Substantiv im Plural, so stand auch … usw.
Durch das Latein lernen erfuhren wir Kinder erst, dass eine Sprache nach Regeln organisiert ist, die man durch Nachdenken und Schlussfolgern begreift. Sprechen wiederum war ein Setzen und Platzieren von Worten – und eben kein willkürliches Reden nach Lust und Laune. Daher hatte ich vor Latein einen immensen Respekt. Es war keine „tote Sprache“ (wie viele immer wieder herablassend sagten), sondern jene alte Sprache, die uns beibrachte, wie „Sprache“ überhaupt funktioniert. Sie zu lernen, bedeutete: Sich ein Grundwissen über „Sprache“ zu erwerben, das einem später half, weitere fremde Sprachen zu lernen.
Wie aber komme ich gerade jetzt darauf? Ganz durch Zufall bin ich in der ARD Mediathek auf die 65 Kurse von Pauk mit: Latein gestoßen, die bereits in den 70er Jahren gedreht und gezeigt wurden. Ein Schauspieler (Rolf Illig) sitzt im Pullover hinter einem Tisch mit vielen Büchern und beginnt das Latein-Training in einem angenehm entschiedenen, klaren Ton. Die ersten Sätze (Rusticus arat – Der Bauer pflügt) erscheinen in deutlicher Schrift und werden auseinandergenommen. Ist das Substantiv männlich oder weiblich? Und wie lautet sein Genitiv? Und was ist ein Ablativ?
Jede Folge dauert etwa 15 Minuten und kommt auf wohltuende Weise ohne die heute üblichen Mätzchen aus. Keine alten Römertrachten! Keine Schauspieler, die eine „Szene auf einem altrömischen Markt“ spielen! Nichts Buntes, Ablenkendes! Keine Musik! Keine Comics! Sondern nur Rolf Illig, ernst, freundlich und gescheit wie Cato in seinen mittleren Jahren!
Was soll ich sagen: Es ist eine Freude, das alte Latein aufzufrischen. Ich selbst folge gerade Grundkurs 1, Folge 4 – und es ist zum Glück kein „pauken“, sondern reinstes präparieren, memorieren, repetieren, was man bis in die letzten Windungen des Gehirns wie Medizin (klärend, auffrischend, belebend) spürt …