Das Istanbul von Ara Güler und Orhan Pamuk

Gestern Nacht habe ich in 3sat eine Dokumentation über den Istanbuler Fotografen Ara Güler geschaut, der vor einer Woche im Alter von neunzig Jahren in seiner Geburts- und Heimatstadt gestorben ist (abrufbar in der 3sat-Mediathek).

Ich erinnere mich gut, dass ich Fotografien von Güler zum ersten Mal während meines Istanbul-Aufenthaltes im Jahr 1967 gesehen habe (davon erzähle ich im letzten Kapitel meines neuen Romans Die Mittelmeerreise). Es waren scharf gestochene, elektrisierend wirkende Schwarz-weiß-Fotografien, mit einer Leica gemacht. Sie zeigten vor allem Straßenszenen des Alltags, die einen sonst nie so gesehenen Moment (der Freude, des Erschreckens, des Streits, der Melancholie) ausstellten. Daneben waren es aber auch immer Porträts von Menschen, Studien ihrer Gesichter, ihrer Kleidung, ihrer Gestik. Fotografierte Güler Panoramen, leuchteten die fast immer überfüllt erscheinenden Straßenzüge, Brücken und Moscheenlandschaften in einem seltsamen Licht, als würden sie vom Himmel aus in Szene gesetzt und angestrahlt.

In dem gerade erschienenen hinreißenden Istanbul-Buch von Orhan Pamuk (Istanbul. Erinnerungen und Bilder aus einer Stadt. Aus dem Türkischen von Gerhard Meier. Carl Hanser Verlag 2018) sind viele von Gülers Stadtfotografien enthalten. Sie sind die ideale Ergänzung zu den autobiografischen Erzählungen Pamuks aus seinen Kinder- und Jugendjahren, die viel mehr sind als bloße „Autobiografie“. Wie Güler porträtiert auch er im Blick auf sein Leben letztlich die große Stadt, ihre Wunder und Atmosphären, ihre Geschichte.

Nach Istanbul kann man süchtig werden. Schon 1967 ist es mir so ergangen. Ich hörte auf, selbst zu fotografieren und kaufte mir Fotografien türkischer Fotografen, die ich zu Hause in einer Mappe aufbewahrte. Heute träume ich davon, einige Zeit dort zu verbringen und immer wieder in das kleine Museum zu gehen, das Orhan Pamuk seinen Romanfiguren gewidmet hat (Die Unschuld der Dinge. Das Museum der Unschuld in Istanbul. Übersetzt von Gerhard Meier. Carl Hanser Verlag 2012).

Es ist das schönste Literaturmuseum, das ich kenne: Ein Schriftsteller hat die Dinge und Zeugnisse seines Lebens und seiner Zeit gesammelt, vom Kamm über den Wecker und sonstige Alltagsgegenstände bis hin zu den Fotografien. Pamuks Projekt habe ich mir inzwischen zum Vorbild genommen. Auch ich plane nun ein „Museum der Dinge“ (und der mit ihnen verbundenen Romanfiguren) in meiner westerwäldischen Heimat. Vielleicht finde ich Leserinnen und Leser, die mir dabei helfen. Es wäre die Verwirklichung eines Traums, der mich fast täglich in Gedanken beschäftigt …