Das Wintersemester 2018/2019 hat begonnen. Auch diesmal betreue ich wieder einige Masterstudentinnen des Studiengangs „Literarisches Schreiben und Lektorieren“ an der Universität Hildesheim. Was genau mache ich da?
Jede dieser Studentinnen arbeitet an einem umfangreichen Romanprojekt. Im ersten Schritt lerne ich seine Konzeption kennen: Anlage der Handlung, Erzählerstimme, Figurenkonstellation, Räume und Zeiten, Stil und Ton. Um all das möglichst exakt zu erfahren, lasse ich jede Studentin ein ausführliches Exposé schreiben, in dem jeder der genannten Punkte behandelt wird. Weiterhin bitte ich um eine Liste der Figuren und deren genaue Charakterisierung. Drittens lasse ich mir einen Textausschnitt (wie zum Beispiel die ersten dreißig, vierzig Seiten) geben, den ich dann möglichst Satz für Satz auf seine stilistischen Besonderheiten und seine erstrebenswerte Homogenität hin untersuche.
Das alles sind vorbereitende Aktionen für das daraufhin einsetzende Mentorat. Es besteht aus einem regelmäßig stattfindenden, ca. einstündigen Gespräch über den entstehenden Text: Seine Eigenart, mögliche Varianten, den Eindruck, den er hinterlässt etc. Ich empfinde mich als Berater, meine Hinweise sind Empfehlungen, auf keinen Fall aber eine Verpflichtung, es anders zu machen. So gesehen, bin ich eine Art Lektor, der die Textentstehung begleitet, sie aber niemals grundsätzlich in Frage stellt. Mentorieren meint also: Der Romanarbeit Schwung verleihen, mögliche Krisen beseitigen, mit guten Einfällen behilflich sein.
Das Genre des Mentorats beginnt übrigens schon in der Antike. Damals hat der römische Dichter Horaz jungen Dichterfreunden einige Ratschläge gegeben. Er hat das in Briefform getan, um locker, abwechslungsreich und assoziativ sprechen zu können. So wechselt er lässig plaudernd die Themen, mahnt an, sich nicht mit allzu schweren poetischen Aufgaben zu übernehmen, nur über das zu schreiben, was man gut kennt, und sich nicht wie ein Junggenie aufzuführen, das sich Nägel und Bart nicht schneidet, aus Angst, für allzu vernünftig gehalten zu werden.
Horazens De arte poetica hat Schule gemacht, denn seither haben sich Dichter und Schriftsteller in ihren späten Jahren oft in Berater verwandelt, die dem Nachwuchs Wissenswertes und Hilfreiches mit auf den Weg geben wollten. Die Zahl solcher belehrenden Briefe (eine der Urformen des Creative writing) ist noch zur Zeit der deutschen Aufklärung kaum übersehbar, dann nimmt die Fernbetreuung durch ältere Mentoren etwas ab, bis Rainer Maria Rilke zehn Briefe an einen jungen Dichter schreibt und darin das Programm der Beratung völlig neu definiert. (Darüber nächstens mehr …)
Horaz: Sämtliche Werke. Lateinisch/Deutsch. Hrsg. von Bernhard Kytzler. Reclam Verlag 2006