Kleine Freuden

Meine Blogeinträge können privater Natur sein, dann denke ich darüber nach, wie ich mich angesichts bestimmter Ereignisse „gerade so fühle oder befinde“. Ich erzähle von Stimmungen, Atmosphären und Erfahrungen, die für mich etwas Zeittypisches haben.

Sie können aber auch das Verhalten anderer Menschen betreffen, das ich beobachte und einzuschätzen versuche. In diesem Fall haben sie eher den Charakter von „Diagnosen“. So habe ich die Leserinnen und Leser dieses Blogs gebeten, mir Momente kleiner, alltäglicher Freuden zu mailen, die nicht spektakulär sind, dennoch aber zu heimlichen Höhepunkten des Tages zählen.

Auffallend an den Reaktionen war, dass fast ausschließlich stille Augenblicke eines plötzlichen Selbstbezugs genannt wurden: Nach dem morgendlichen Aufstehen ein Fenster öffnen, die frische Luft einatmen, den Duft gemahlenen Kaffees riechen, eine Scheibe Brot mit Quittengelee bestreichen, mit dem Fahrrad ins Freie aufbrechen.

Es sind Momente, in denen möglichst wenig Künstliches, bereits Geformtes in die Wahrnehmung eingreift. Alles, was (wie etwa Technik) auch nur entfernt mit „Arbeit“ zu tun hat, spielt keine Rolle. Vielmehr sind die kleinen Freuden Szenen extremer Gegenwärtigkeit. Die Zeit wird angehalten, die Sinne konzentrieren sich und fokussieren häufig auf einen jahreszeitlichen Kick. Farben, Gerüche und verhaltene Klänge dominieren.

Dadurch haben die kleinen, intensiven Momente des Tages etwas Puristisches. Kein „Barock“ also, nichts Üppiges, Auftrumpfendes, sondern im Gegenteil etwas „Asketisches“, bewusst Bescheidenes: Ein bestimmtes Stück Musik hören, von einem Buch die blöde Plastikfolie entfernen und es aufschlagen.

All das spielt sich meist im Raum des eigenen Zuhauses und seiner Umgebung ab. Ein starkes Verlangen sehnt sich nach der Intimität des Vertrauten, Begrenzten und schafft so etwas wie eine „biographische Zelle“, deren Wiederkehr man ohne große Worte einfach genießt.

(Heute auch als Kolumne im „Kölner Stadtanzeiger“, S.4)