Die Zeit der Schreiberinnen und Schreiber, die noch handschriftliche Aufzeichnungen machen oder Briefe mit der Hand schreiben, ist bald vorbei. Ich selbst gehöre aber noch zu dieser Zunft. Seit ich mit dem Schreiben im Alter von acht Jahren begonnen habe, schreibe ich täglich mit der Hand. Texte, die später gedruckt oder im Netz erscheinen sollen, tippe ich nach der handschriftlichen Erstfassung ab.
Da ich sehr an der Handschrift hänge und noch immer der Meinung bin, dass sie im Hirn tiefere Spuren und Prägungen hinterlässt als ein getippter Text, suche ich nach Ahnen und Vorfahren sowie nach Menschen, die auch heute noch mit der Hand schreiben (wie etwa Lucien Favre, der Trainer von Borussia Dortmund, der am Spielfeldrand während eines Spiels handschriftliche Notizen auf einem Spiralblog macht …). Vielleicht helfen kurze Hinweise auf die materiale Schönheit von Handschrift, für ihre Beibehaltung zu begeistern. Also los!
Die Künstlerin Hannah Höch (1889-1978) hat von 1917 bis zu ihrem Tod ein einziges Adressbuch geführt. Sie hat es mit immer neuen, eingeklebten Zetteln erweitert, so dass es schließlich eine große Zettelsammlung buntester Art geworden ist. Das Original kann man sich im Netz Seite für Seite anschauen, und zwar unter: http://dfg-viewer.de/show/?tx_dlf[id]=http://dfg-viewer.berlinischegalerie.de/170013/Dokumente/170013.xml
Wer sich hinter den Eintragungen verbirgt, verrät ein von Harald Neckelmann herausgegebenes Buch („Mir die Welt geweitet“. Hannah Höch. Das Adressbuch. TRANSIT Buchverlag 2018), das die Biografien der aufgelisteten Personen detailreich (mit dem Blick auf ihre Verbindung zu Hannah Höch) skizziert oder erzählt.
Online-Dokumentation und Buch erschließen den Lebenskosmos einer Künstlerin: Mit wem sie sich getroffen, etwas unternommen, geplant, organisiert, ihre Lebenszeit verbracht hat.
Vertieft man sich in diese Quellen, könnte ein Projekt entstehen: Die Anschaffung eines handlichen Adressbuches, in das die Freundinnen und Freunde des Lebens sowie alle für dieses Leben wichtigen Bekannten ihre Adressen handschriftlich selbst eintragen. In den unterschiedlichsten Farben. Mit den unterschiedlichsten Stiften.
Was wäre die Folge? Ein Adressbuch als Kunstprojekt! (Vielleicht auch mit anderen Verweisen: Zeichnungen, Noten, Zeitungsausschnitten …)