Begegnung mit Roger Willemsen

Roger Willemsen habe ich kennengelernt, als er noch nicht sehr bekannt war, das war im Herbst 1987. Damals stellte er in den Büroräumen des Münchener Piper Verlags ein Buch mit dem Titel Figuren der Willkür vor. Ich saß neben ihm und präsentierte ebenfalls ein neues Buch, meinen Roman Schwerenöter. Wir kamen rasch ins Gespräch und saßen später noch lange zusammen, als sich die Zuhörer und die Mitarbeiter des Verlages schon längst verlaufen oder zurückgezogen hatten.

Später habe ich ihn immer wieder durch Zufall getroffen. Oft in Köln, in Restaurants, die uns beiden gefielen, einmal auch im Bordrestaurant eines Zuges, wo wir einander plötzlich gegenübersaßen. Während einer Fahrt in den Norden unterhielten wir uns wieder, fast ausschließlich über Musik. Mein Terrain war die Klassik (vor allem Klaviermusik), er aber sprach über Jazz, wo er sich viel besser auskannte als ich.

Ich habe diese Fahrt gut in Erinnerung: die Begeisterung, mit der er auf mich einredete, seine Vehemenz, das Sprudeln der aus dem Stegreif entstehenden überraschenden Einfälle, seine Freundlichkeit. Als ich aussteigen musste, verabschiedeten wir uns fast wie zwei Musiker, die gerade ein Duo gespielt hatten, er ton- und melodienangebend, ich eher begleitend und lauschend. Auf dem Bahnsteig blieb ich noch eine Weile stehen, nachdem er mir zum Abschied durch das Zugfenster lachend zugewinkt hatte.

Bei S. Fischer hat Insa Wilke jetzt viele seiner Texte über Musik (Musik! Über ein Lebensgefühl) herausgegeben. Die meisten sind brillante Aufforderungen zum Hören ganz bestimmter Stücke, in deren Klangcharakter er einführt und die er in einer Sprache auslegt, die nie bildungsbeflissen oder theoretisierend wirkt. Roger Willemsen ließ sich von bestimmten Kompositionen mitreißen und fesseln, und wenn er über solche Trips schrieb, dann so, dass man dieses Miterleben hautnah mitbekam.

Musik! ist ein ideales Buch für das Erweitern eigenen Hörens. Eine lange Reise kann man Roger Willemsen durch seine musikalischen Kontinente folgen, lesen, wie er seine Jazz-Favoriten vorstellt, Klassik mit Jazz konfrontiert oder Szenen außereuropäischer Musik porträtiert. Und da alle Stücke leicht im Netz abrufbar sind, kann man alle paar Tage eine Willemsen-Session einlegen und der Vorstellung erliegen, man lauschte weiter und weiter auf ihn und hörte seine eindringliche, nicht nachlassende Stimme.