Die Christmette war zu Ende, die Kirchenbesucher standen auf, leicht übermüdet und erschöpft. Dann aber holte die Orgel noch einmal aus, und die Trompeten stimmten das Weihnachtslied an, das ich so liebe: Adeste fideles, laeti triumphantes, venite, venite in Bethlehem!
Herbei, o ihr Gläubigen – oder auch: Nun freut Euch, Ihr Christen… lauten die ersten Zeilen in der deutschen Übersetzung. Das aber ist nicht dasselbe, denn im lateinischen Text ist das Vokabular kräftiger, frischer, ja, eine geradezu mitreißende Aufforderung! Und wozu? Dazu, das Lamentieren, Reflektieren und Sinnieren wenigstens für einen einzigen starken Moment aufzugeben und sich einem nicht zu leugnenden Glücksgefühl gemeinschaftlicher Freude hinzugeben.
Gleichgültig, ob man so etwas als Gläubiger oder Nichtgläubiger erlebt, es fällt schwer, beim Mitsingen dieses Liedes gefasst zu bleiben. Ich erinnere mich an eine Aufnahme mit Luciano Pavarotti aus der Basilika Notre-Dame in Montreal (jetzt auch auf Youtube), als der große Tenor das „Adeste fideles“ mit einem Schwung und einer Strahlkraft anstimmte, dass ihn der Überschwang selbst davontrug. Nach etwa zwei Minuten solo begleiteten ihn mehrere Chöre, da gab er für Sekunden auf und kämpfte mit den eigenen Emotionen.
Sie rühren daher, dass es sich um ein Glückslied ohne Wenn und Aber handelt und damit um einen Gesang, der keine verhaltenen Empfindungen mehr duldet, sondern die schlummernden bündelt und herausschreit: Hier bin ich, es hat mich gepackt, jetzt mache ich mich auf den Weg, kommt bitte mit! Das spezielle Übermaß dieses plötzlichen, unbedingten Aufbruchs ist wohl auch der Grund dafür, dass es von so vielen Sängerinnen und Sängern interpretiert wurde (ich nenne Bob Dylan, Mahalia Jackson, Elvis Presley).
Es gibt Weichspüler-Fassungen, sentimental bis zur Kante, das aber verfälscht den Gestus des Jubels, der ihm so elementar innewohnt und den wir sonst kaum noch kennen. Mir erscheint Pavarottis Version daher am Stärksten: Er singt, als höbe er gleich ab, hinauf zu den knapp unter dem Kirchendach vermuteten, begeistert herumflatternden Engeln. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!