In meinem Blogeintrag vom 20. November 2018 habe ich über den russischen Pianisten Arcadi Volodos geschrieben, dessen Konzerte ich seit langem verfolge. Damals hatte er gerade in der Kölner Philharmonie gespielt, dort konnte ich ihn nicht hören, in der vergangenen Woche aber habe ich es geschafft und seinen Auftritt anderswo live erlebt.
Wie weit er es inzwischen gebracht hat, zeigte mir schon das Programm, das er für diesen Abend zusammengestellt hatte. Bereits auf den ersten Blick war es wohltuend ungewöhnlich. Volodos hüpfte nicht einfach von einer Beethoven- oder Mozartsonate zur nächsten, und er spielte auch nicht einen großen Liszt-Zyklus, der dann mit einigen kürzeren Stücken anderer Komponisten drapiert worden wäre. Genau so hätten es wohl viele Pianisten gemacht, weil ihr Üben am Gesamtwerk bestimmter Komponisten orientiert ist und sie daher stur ein Stück nach dem andern üben, um „das Gesamtwerk“ dann irgendwann auf CD etc. einspielen zu können.
Ein solches Üben führt im Abendprogramm eines Konzerts dann zu trägen Blockbildungen. Der Zuhörer bekommt zum Beispiel Liszt, Liszt und nochmal Liszt zu hören und soll den vielen Liszt später mit Hilfe einer Hörprobe Rachmaninow verdauen. Das klappt nicht, es kann gar nicht klappen. Pianisten denken oft also zu sehr an ihre Aufnahmen anstatt an das Publikum in ihren Konzerten. Im Fall von Volodos war das, wie gesagt, anders.
Er begann mit einem Jugendwerk von Franz Schubert und spielte dann einen kleinen Block, Schuberts Moments musicaux. So konnte man verfolgen, wie sich Schuberts Komponieren mit kleinen Einfällen verändert hatte. Kurze Stücke! Keine weiten Strukturen! In sich geschlossene Gebilde, jedes anders und überraschend.
Nach der Pause dann Kompositionen von Rachmaninow und Skrjabin. Und wieder dasselbe Prinzip: Kurze Stücke von nur wenigen Minuten, die demonstrierten, wie nun wiederum diese beide russischen Komponisten mit „kleinen Einfällen“ umgingen! Schubert hatte die stille Post auf den Weg gebracht, die beiden anderen hatten sie gehört, sich auf sie eingestellt und daraus etwas Anderes gemacht!
So war der gesamte Abend letztlich ein Schubert-Abend! Schubert und Folgen! Schubert und kleine Einfälle!
In mehreren Zugaben hielt sich Arcadi Volodos an dieses geniale Programm! Ja, so sollten große Klavierabende sein! Exkursionen, auf die noch niemand gekommen war! Verbindungen zwischen Komponisten und Kontinenten, die plötzlich deutlicher wurden.
Und ganz zum Schluss: Bach! Plötzlich: Bach! Bachs Bearbeitung einer Vivaldi-Komposition, der langsame Satz (Bach/Vivaldi, Siciliana BWV 596, über Youtube abrufbar, sogar in der Volodos-Interpretation) … Die Rückkehr zu den Ahnherren, der dankbare Gang in die Nacht!