(Heute auch als Kolumne im Kölner Stadt-Anzeiger, S.4)
Damals, in den späten fünfziger Jahren, kümmerte sich keiner von uns Jungs um seine Kleidung. Wir zogen frühmorgens eine schlottrige Hose oder ein zerknittertes Hemd an, und an den Nachmittagen tauchten wir in abgelegene Kletterzonen ab, aus denen wir am Abend angerußt und verdreckt nach Hause zurückkamen.
Während der hohen Karnevalstage jedoch war alles anders. Jeder von uns lag den Eltern mit einem Kostümvorschlag in den Ohren, und da fertige Kostüme teuer waren, baten wir unsere Mütter, ein Kostüm nach unseren Wünschen zu schneidern. So hat der Karneval uns damals mit den Themen der Mode vertraut gemacht. Plötzlich begriffen wir am eigenen Leib, was das war und was es bedeutete, sich ihren Gesetzen zu unterwerfen. Das begann mit zeichnerischen Entwürfen und ließ uns zu ersten Anproben erscheinen: War der Ärmel zu kurz, waren die Knöpfe zu groß, passten die Schuhe?! Und wie stand es mit den Farben?!
Ich selbst hatte mir in den Kopf gesetzt, als „Herr Kaplan“ aufzutreten. Mein modisches Vorbild war mein eigener Onkel, der in Essen eine katholische Pfarrei betreute und den ich bei meinen Besuchen oft in einer schwarzen Soutane gesehen hatte. So ein Kleidungsstück empfand ich als etwas ungemein Feines: Vom Kopf bis zum Boden durchgehend, mit dreiunddreißig violetten Knöpfen, enganliegenden Ärmeln und – tailliert! Hose und Hemd konnte ich endlich vergessen, denn eine Soutane hatte mit dem Alltag nichts mehr zu tun und verlieh einem ein würdevolles Äußeres.
Als ich sie zum ersten Mal trug, „schritt“ ich plötzlich aufrecht und mit durchgedrücktem Oberkörper. Ich stellte das Laufen und Zappeln ein und trug als Höhepunkt meiner feierlichen Präsentation ein ebenfalls schwarzes Birett. Den halben Tag redete ich frei erfundenes Latein und segnete sogar all die, die gar nicht gesegnet werden wollten. „Die Mode“ hatte aus mir eine „Gestalt“ gemacht, zum ersten Mal spürte ich, was das war. Es war ein Mensch, der sich um jedes Detail seines Äußeren gekümmert hatte und selbst noch den Namen des feinen Stoffs hätte nennen können, in den man ihn „gewandet“ hatte. In meinem Fall war es Baumwolle, „mollis bombacio“…