Víkingur Ólafsson

In meinem ersten Blogeintrag dieses Jahres (07.01.2019) habe ich von einem Vorsatz berichtet: „…ab heute wieder jeden Tag eine geschlagene Stunde Klavier spielen. In langsamem, verfolgbarem Tempo. Einfachste Stücke. Möglichst fehlerfrei. Hellwach, mit offenen Ohren. Am besten morgens, sehr früh. Oder auch tief in der Nacht …“

Ich habe mit Etüden von Czerny begonnen und mich langsam wieder zu kurzen Kompositionen von Johann Sebastian Bach hinbewegt. Viele von ihnen habe ich in meinen Kinder- und Jugendjahren geübt, als ich mich auf dem Weg zu einem Konzertpianisten glaubte und die entsprechenden Ausbildungsstufen durchlief.

Einem Freund erzählte ich davon, dass ich wieder Bach spiele, fast jeden Tag, mit immer größerem Vergnügen. Die Klarheit der Melodieführung, das Ernste, Eindringliche der Stücke, die Strahlkraft des kompositorischen Baus, dessen Entstehung man Takt für Takt so miterlebe, als wäre man selbst wie ein hoch inspirierter Architekt mit daran beteiligt – das alles habe (einmal simpel gesagt) etwas ungemein „Wohltuendes“.

Mein Freund entgegnete, dass er einen jungen isländischen Pianisten mit Namen Víkingur Ólafsson entdeckt habe. Bei der Deutschen Grammophon sei ein erstes Album mit (ausgerechnet) Bach-Einspielungen erschienen. Von Víkingur Ólfasson hatte ich noch nie gehört, umso gespannter war ich auf seine Einspielung. Und was ist seither mit mir passiert? Etwas Wunderbares, ja, wirklich.

Seither höre ich nämlich täglich Ólafssons Bach. Das für mich Überraschende ist, dass er genau jene Stücke spielt, die ich selbst erst gerade wieder geübt habe. Die ganze Bach-Palette ist vertreten: Übungsstücke (wie die beiden Inventionen), Choral-Bearbeitungen, virtuose Glanznummern aus dem Wohltemperierten Klavier und unglaublich rührende (und „zu Herzen gehende“) Meditationen wie der langsame Satz des Concertos in D-Moll (BWV 974).

In der Gestalt von Víkingur Ólafsson habe ich in den letzten Wochen und Monaten eine neue Orientierung am Pianistenhimmel gefunden. Geduldig und konzentriert hat er mich begleitet, während ich das Manuskript meines Buches Wie ich Klavierspielen lernte überarbeitete. In wenigen Monaten wird es im Insel-Verlag erscheinen.