Eigentlich sollte ich jetzt in Frankfurt sein. Dann hätte ich eine Karte für das Projekt, das Marina Abramović gegenwärtig in der Alten Oper inszeniert. Alles läuft auf ein Konzert zu, das Ihre Gäste am kommenden Sonntag besuchen dürfen. Es wird fünfeinhalb Stunden dauern, und niemand ahnt, wie genau es verlaufen wird.
Mehrere Solisten und Ensembles werden erscheinen, und man wird ganz unterschiedliche Musik zu hören bekommen. Die Musikerinnen und Musiker werden sich frei bewegen und auf keinem Podium sitzen. Und die Zuhörerinnen und Zuhörer werden ebenfalls unterwegs sein und – je nach Impuls – in die verschiedensten Klangräume eintauchen.
Es geht also nicht um eines der üblichen Konzerte, in die ein Publikum von zu Hause aufbricht, um mal rasch etwas Musik zu tanken. Marina Abramović verlangt von ihren Gästen viel mehr. Sie sollen vor dem Sonntagskonzert zweimal zu einem jeweils dreieinhalbstündigen Training erscheinen. Mobiltelefone und Uhren sollen vor Beginn dieser Trainingseinheiten ebenso abgegeben werden wie vor dem sonntäglichen Konzert.
Das Training besteht aus Übungen, die der Abramović-Methode folgen. Sie dienen gesteigerter Konzentration, innerer Teilhabe am „Hier und Jetzt“, Versenkung in Stille und Wahrnehmung kleinster visueller oder akustischer Reize (in stark verlangsamter Form). „Um wirklich Musik zu hören“, sagt Marina Abramović, „muss man mit allen seinen Sinnen dabei sein. Aber unser Leben ist schwierig und hektisch, und wenn wir in ein Konzert gehen, nehmen wir all diese Last mit. Deswegen dachte ich mir, dass es wichtig ist, eine Methode zu entwickeln, mit der man sich auf das Hören vorbereitet.“ (Weitere Informationen im Programm der Alten Oper Frankfurt)
Ich sollte unbedingt in Frankfurt sein. Mein halbes Leben habe ich darüber nachgedacht, wie man „Konzerte“ anders inszenieren könnte als in der klassischen Form. Und fast zwei Jahrzehnte habe ich die Performances und Auftritte von Marina Abramović bis in die kleinsten Details studiert (der Roman Liebesnähe übersetzt ihre „Methode“ in die Erfahrungsbahnen einer sich entwickelnden Liebesbeziehung …).
Sollte eine Leserin oder ein Leser dieses Blogs an dem Projekt Anders hören teilnehmen, wäre ich für eine Rückmeldung mit Erfahrungsbericht sehr dankbar.