Ach, ich muss es jetzt doch erzählen: Das Lunchkonzert schien beendet, als die begeisterten Zuhörer noch eine Zugabe forderten. Ich war bereits auf dem Weg zum Ausgang, als ich die ersten Töne hörte und stehen blieb. Wenige Takte eines Klaviervorspiels – und dann der Einstieg der singenden, das Lied fortlaufend singenden Stimme der Violine. Das Klavier tritt in die Begleitung zurück, die Violine singt sich aus, dann ein kurzer Mittelteil, in dem das Klavier durchatmet – und die Rückfindung der Violine zum Singen.
Das habe ich früher solo auf dem Klavier gespielt, dachte ich. Das ist ein Lied ohne Worte von Mendelssohn, das ist das opus 19/1 in E-Dur, dachte ich, das ist in der Version mit Klavier u n d Violine noch viel schöner als Klavier solo, dachte ich, das ist unglaublich, das impft einem die ganze Schönheit von Musik in drei Minuten bis in die hintersten Spulen des Hirns, das ist …
Und ich blieb weiter stehen und hörte, wie das Stück ausklang und die Zuhörer einen Ergriffenheitsmoment still wurden danach und sich dann erhoben und zu klatschen begannen und ich ebenfalls klatschte und mit feuchten Augen hinaus ins Freie eilte, durch die Narzissenlandschaft ringsum.
So etwas passiert mir vor allem im Frühling, dachte ich, kurz vor Ostern, verdammt.
Inzwischen habe ich das opus 19/1 von Mendelssohn in der Version mit Violine und Klavier jeden Tag erneut gehört – und heute Abend ist es mein Vorsonntagslied, das mich in die Karwoche führt.