Der Schriftsteller Thomas Bernhard war vierunddreißig Jahre alt, als ihm 1965 für seinen Roman Frost der Bremer Literaturpreis zugesprochen wurde. Bernhard war damals wenig bekannt, er stand noch am Anfang eines Werks, das in den Folgejahren rasch immer größere Geltung erlangte und schließlich in den obersten Ruhmesetagen ankam. Mit dem Preisgeld finanzierte er den Kauf eines damals noch ruinösen Vierkanthofs in Ohlsdorf, den er nach und nach aufwendig renovierte und ausstattete.
André Heller hat nun in einem sehr schönen Buch (Hab & Gut. Das Refugium des Dichters, Christian Brandstätter Verlag, Wien) Fotografien von Hertha Hurnaus veröffentlicht, die das Äußere und Innere dieses Hofes einfangen. Verblüffend daran ist, dass Bernhard die Inneneinrichtung wie ein Bühnen- oder Theaterensemble von Einrichtungsgegenständen komponiert hat. Dabei zitiert er traditionelle Momente eines Bauernhofs (wie eine hölzerne Eckbank, einen viereckigen Esstisch, Kachelöfen etc.), die er mit modernen Elementen (wie einer kompletten Edelstahlküche mit Geschirr und Küchengeräten oder mit Fernsehgeräten sowie Transistorradios) kombinierte. Vollends mysteriös erscheinen schließlich Gegenstände, die auf mögliche Bewohner verweisen: ein Gewehr, vielerlei Schuhe und Stiefel, Hüte, Jacken und Hosen, akkurat in der Ankleide nebeneinander gereiht.
Unübersehbar sind die vielen Schreibtische, an denen Bernhard jedoch angeblich niemals geschrieben hat. Mit Hilfe der kompletten Edelstahlküche hat er auch nie gekocht, anscheinend hat er in dem gewaltigen Raumgelände des Hofes nur minimal oder fast unsichtbar „gelebt“. Gäste hat er nur selten empfangen und noch seltener beherbergt. Geschrieben hat er in Gmunden, wo er eine Wohnung besaß, geschrieben hat er auch in Wien oder auf Reisen.
Später hat Thomas Bernhard noch zwei weitere, große, einsam gelegene Höfe oder Häuser erworben, die er zu Illusionsräumen seiner poetischen Anschauung umgestaltete. Anscheinend hat er alle drei ausschließlich als Fantasiewelten verstanden, die nicht mit dem Schreibprozess in Verbindung gebracht werden sollten. So waren die Häuser „Ausstellungen“ von Werkideen und fiktiven Figuren, die sich in ihnen mit künstlichem Leben vollsaugten, sie dienten als Vampiranstalten für Einfälle, Atmosphären, Geschichten.
Mit den Jahren komplettierte Bernhard diese Szenarien durch lauter weitere Gegenstände, die er aus der Ferne mitbrachte, jedoch niemals selbst anrührte: Krawatten und andere Kleidungsstücke, alkoholische Getränke, Gemälde und Möbel. Noch zu Lebzeiten entwarf er statische Museen seiner Raumillusionen, die heute wie Prospekte und Ergänzungen zu seinen Texten wirken.
Hellers Buch hat mich sehr fasziniert. Seit langem denke ich darüber nach, wie ich aus dem großen Archiv meiner vielen Manuskripte und Texte Pfade und Wege in eine „Ausstellung“ ihrer Dokumente und Hintergründe entwerfen könnte. Ich bin dabei, diese Schritte zu planen. Ein Vierkanthof wäre schön, kommt aber für mich nicht in Frage. Ich möchte Schriften und Räume auch nicht (wie Bernhard) trennen, sondern aufeinander beziehen. „Mal sehen …“