(Heute auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S.4)
Seit die Grünen laut Politbarometer-Umfragen die stärkste Partei sind, geht durch weite Kreise meiner Freunde und Bekannten jener Ruck, den vor langer Zeit einmal Bundespräsident Roman Herzog eingefordert hat. Damals konnte er noch nicht genau sagen, was man sich darunter vorstellen sollte, jetzt aber hat der Ruck alles, was er zum Durchrucken braucht: Theorien und jede Menge Praxis.
Beides zusammen liefern gegenwärtig die Kinder und Jugendlichen der Familien um mich herum, die ihre Eltern unterrichten und einweisen. Die üblichen Sommerferien inklusive Billigflug nach Marokko oder auf die Kanarischen Inseln sind gestrichen – in diesem Jahr geht es mit der Bahn und Superspartarifen in Gegenden, in denen der Tourismus noch nicht dominiert. Die deutschen Mittelgebirge und entlegene Flusslandschaften sind angesagt, man durchfährt sie auf Fahrrädern und kalkuliert abends Kalorienverbrauch und Energieleistungen. Während der munteren Familienfahrten sammelt man den Plastikmüll am Wegrand ein, das nennt man seit neustem „Plogging“ – so ein neuer, chicer Begriff motiviert bereits immens.
Alles kreist letztlich um den ökologischen Fußabdruck, der sämtliche Bereiche des Lebens erfasst und den die junge Avantgarde laufend messerscharf berechnet. Wer hat heute zum Frühstück mal wieder ein Scheibchen Wurst verzehrt? Wer hat die Bio-Lebensmittel im Supermarkt sträflich übersehen? Und wer bewohnt viel zu große Flächen, anstatt sich auf die Hits der aktuellen Wohnkultur zu besinnen: Hütten und Tiny-Houses?
Der bullige Van, in dem die Eltern früher durch kaum noch eine automatische Parkplatzschranke kamen, wird natürlich verkauft. Alles, was breit, hoch und dominant aussieht, sollte abgestoßen werden, denn die Zeiten, in denen man mit den Anderen um Fülle und Hülle konkurrierte, sollten endgültig vorbei sein. Die „grünen Zeiten“ werden stattdessen eine Ära lustvollen Schrumpfens einleiten, an deren Ende auch das Top-Ziel erreichbar scheint: Die Nutzung der nervenden Smartphones mitsamt ihren Quassel- und Nachrichtenangeboten einzuschränken! Natürlich war es niemand anderes als eine Lyrikerin, die das Wegweisendste überhaupt zu diesem Thema gesagt hat: Seit sie nicht mehr bei Facebook zu Hause sei, sei sie einfach viel glücklicher. Dem muss aber auch kein einziges Silbchen mehr hinzugefügt werden.