Kurz nachdem ich 1976 promoviert hatte, erhielt ich am Deutschen Institut der Universität Mainz eine Stelle als wiss. Mitarbeiter. Ich hatte mein Studium erfolgreich abgeschlossen und begriffen, wohin mich die Wissenschaft führen könnte. Forschungen in diesem Metier setzte ich fort, spürte aber zugleich auch den großen Reiz des literarischen Schreibens.
Beide Interessen kamen in der Person meines Doktorvaters zusammen: Bruno Hillebrand (1935-2016) war Lyriker, Prosaautor und Essayist, gleichzeitig aber auch Literaturwissenschaftler (mit starkem Interesse an philosophischen Themen). Ich arbeitete eng mit ihm zusammen und bemerkte mit der Zeit deutlicher, dass unsere Gespräche immer stärker um Bücher der deutschen Gegenwartsliteratur und bald auch um mögliche Themen und Stoffe eigenen Schreibens kreisten. Wir schrieben weiter wissenschaftliche und essayistische Texte, daneben aber auch (mit besonderer Leidenschaft) jeder für sich an einem Roman. Kurioserweise erschienen diese beiden Bücher fast zugleich im Frühjahr 1979: Versiegelte Gärten (von Bruno Hillebrand) und Fermer (von mir).
Genau mit diesem Erscheinen meines ersten Romans erhielt mein gesamtes Denken und Schreiben eine neue Orientierung. Ich studierte zwar noch immer die Habermasschen Themen (und damit die Frage danach, wie die Geisteswissenschaften auf die veränderten Weltbezüge der Gegenwart antworteten), wusste aber auch, dass meine Interessen über diese Themen hinausreichten. „Habermas“ folgte ich, indem ich Essays und Artikel zu den neusten Bewegungen im literarischen Feld schrieb und dieses Feld sondierte – meinen „Sonderinteressen“ aber folgte ich, indem ich zum Beispiel ein Buch über Mozarts Briefe (Mozart – im Innern seiner Sprachen) und wenig später einen zweiten Roman (Hecke) schrieb.
So wurde das Habermassche Strukturieren und Gliedern der wissenschaftlichen Welten für mich zu einem Arbeitskomplex unter vielen, dessen Faszination allmählich schwächer wurde. Mitte der achtziger Jahre flammte dieses Interesse aber noch einmal auf, als ich Der philosophische Diskurs der Moderne las. Damals beschloss ich, einen zweiten, großen Anlauf in Sachen Wissenschaft zu unternehmen und – parallel zu meiner Dissertation, in der ich einen Habermas-Ansatz aufgegriffen und erweitert hatte – eine Studie mit dem Titel Der literarische Diskurs der Moderne zu schreiben.
Sowohl Habermas als auch den eigenen Themen zu folgen – ich hatte mir ein Riesenprogramm vorgenommen. Einerseits erzählte ich in meinem dritten Roman von der Geschichte der Bundesrepublik seit dem Kriegsende (Schwerenöter), andererseits strukturierte ich die Geschichte der literarischen Moderne seit der Spätantike als Fortsetzungsgeschichte einer steten Neubestimmung des Begriffs „modern“.
Beides zugleich war zu viel. 1987 erschien der Roman, am Wissenschaftsprojekt aber schrieb ich hunderte von Seiten so lange weiter, bis sich dieses Interesse erschöpfte. Ich gab auf, mich beschäftigen längst andere Themen. Und welche? Fragen danach, wie die literarische Moderne nicht mehr nur zu denken, sondern, von theoretischen Überlegungen ausgehend, auch in besonderen Praktiken des Schreibens zu gestalten war. Dahin führten Schreibübungen der modernen Poetik, wie sie an einem literaturwissenschaftlichen Institut damaliger universitärer Prägung nicht weiter zu verfolgen waren.
Wollte ich meinem neuen Themenbestand treu bleiben, musste ich mich nach einer anderen Hochschule umsehen. 1989/90 nahm ich eine Stelle für Kreatives Schreiben unter Einbeziehung der modernen deutschen Literaturgeschichte und/oder der modernen Ästhetik (so die Stellenausschreibung, die – wunderbarer Fall – genau jene Motive ansprach, um die mein Denken kreiste: Praktiken der Poetik und Theorie der Moderne) an der Universität Hildesheim an. Es war die Geburtsstunde der Hildesheimer Schreibschule und ihrer späteren neuen Studiengänge, deren Jubiläen wir gerade in Hildesheim gefeiert haben.
In der Festanthologie Institutsprosa. Zwanzig Jahre Schreibschule Hildesheim (hrsg von Dirk Brall, Thomas Klupp, Mariana Leky und Katrin Zimmermann, Universitätsverlag Hildesheim/Georg Olms Verlag 2019) findet man die Fortsetzung und damit den bisherigen Schlussteil all dieser Geschichten: Wie die Hildesheimer Schreibschule auf geheimnisvolle Weise entstand und danach lauter Junggenies fast von selbst zu Geheimnissen wurden – und was das alles mit mir zu tun hat (S. 221-243) sowie Kleine Chronik der Hildesheimer Schreibschule (S. 245-254).