(Heute auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S.4)
Jeder Herbst bringt die zeittypischen Moden und Trends eines Jahres auf den Punkt. Was sich in seinem Verlauf ankündigte und abzeichnete, wird auf Fashionweeks, Festivals, Messen und Ausstellungen geerntet, bestimmt und sortiert.
Unsere Freundinnen mit Sinn für die neuste Mode tragen zum Beispiel jetzt schwarze Schnürstiefel, und unsere Jazz-Freunde hören Martin Tingvalls herbstliches Klavieralbum The Rocket (mit Nummern wie Floating und Dark Matter). Das Herbst-Buch für alle Generationen wiederum besteht aus langen Dialogen zwischen älteren und jüngeren Paaren (Sally Rooney: Gespräche mit Freunden), und das eindringlichste Buch des Herbstes ist ein sowohl literarisches als auch philosophisches und heißt Du bist die Aufgabe.
Es ist von Franz Kafka und enthält lauter Ideen und Aphorismen aus den Herbst- und Wintermonaten 1917/18, in denen er sich zu seiner Schwester aufs Land ins böhmische Zürau zurückgezogen hatte. Reiner Stach hat diese oft altasiatisch anmutenden Gedankengänge („Wie ein Weg im Herbst: kaum ist er rein gekehrt, bedeckt er sich wieder mit trockenen Blättern.“) kommentiert, und wir lesen plötzlich einen Kafka von heute, als lebte dieser asketische Weise noch und säße bei uns, unter herbstlichen Kastanienbäumen, leise murmelnd und gedankenschwer.
Viele unserer Freunde können sich von ihren Urlaubserinnerungen schlecht trennen, was zu einem gewissen Alkoholkonsum führt. Aus fernen Ländern haben einige den Autumn Reviver mitgebracht, einen Drink, der vor allem aus Gin, Zitronensaft, Ingwer Sirup und Orangenlikör besteht. Man nippt kurz vor dem Abendessen daran, viele trendbewusste Esser lassen darauf vegetarische Mahlzeiten folgen. Alle nur möglichen Pilzsorten (Pfifferlinge, Steinpilze) stehen an erster Stelle, und es gibt Zwiebelkuchen im knusprigen Pizza-Modus, aus Vollkornmehl und Rapsöl, mit Thymian bestreut.
Eine herbstliche Ausstellung par excellence startet im Bonner Kunstmuseum (und vielen weiteren Museen) und bringt unter dem Stichwort Jetzt! junge Malerei in Deutschland. Die dort ausgestellten 53 Künstlerinnen und Künstler sind alle nach 1970 geboren, und ihre Werke ergeben ein aussagekräftiges Panorama bildnerischer Ästhetik der Gegenwart.
Junger Herbst – das bedeutet: frischen Schwung, kosten, probieren, erkunden, den neuen Impulsen folgen und lustvoll festhalten, wie und woran der Zeitgeist arbeitet und denkt.