Trifonow live

Endlich habe ich Daniil Trifonow live in einem Konzert erlebt. Er ist achtundzwanzig Jahre alt, sieht aber mit seinem markanten Bart und einem offenen, weißen Hemd in locker sitzender schwarzer Konzertkluft noch aus wie ein Student, der etwas zu lang studiert hat. In erheblichem Tempo stürzt er auf die Bühne, eilt dem Flügel entgegen und schlägt sofort die ersten Klänge und Harmonien an. Von da an gibt es kein Halten mehr, und man glaubt, eine Figur aus Tschechows Drama Der Kirschgarten vor sich zu haben. Ist das nicht Pjotr Sergejewitsch Trofimow, der die siebzehnjährige Anja Ranjewskaja liebt?

Je länger Trifonow spielt (und er spielt zunächst nur Skrjabin), umso unheimlicher verwandelt er sich in die toternste Tschechow-Figur. Keine Pausen zwischen den Stücken, es ist alles eins, Liebe, Liebeskummer, Skrjabin – selbst als eine Beethoven-Sonate dran ist, gibt es zwischen Skrjrabin und Beethoven ebenso wenig ein Atemholen wie zwischen Trifonow und Trofimow. Beide sind letztlich eine Gestalt, und als die Beethoven-Sonate (op. 110) geschafft ist, verschwindet unser ewiger Student mit einigen raschen Sätzen, mehrere Stufen auf einmal nehmend, in der Garderobe, um Tschechow zu lesen.

Nach der (wieder mal nichts als lästigen) Pause ersteht das alte Russland weiter: Alexander Borodin, Sergej Sergejewitsch Prokofjew – man sitzt längst zu Trifonows Füßen und leidet mit ihm. Wie geht es Anja Ranjewskaja? Borodins Musik erträgt sie noch, Prokofjews 8. Sonate aber nicht mehr – und so geht diese heftige Liebe entzwei, und wir bescheiden uns mit einer Rachmaninow-Zugabe aus reinstem, kristallinem Glockenklang. Anschließend einige Gaffel-Kölsch – zur Abkühlung und Ernüchterung.