Neulich bin ich mal wieder mit einem Intercity gefahren. Ich hatte fast vergessen, wie es in diesen ultralangen Zügen mit den alten, knarrenden Wagen so aussieht und zugeht. Sie durchqueren fast die ganze Republik auf Schleichwegen und halten beinahe in jeder Stadt mit mehr als 50 000 Einwohnern.
Geschäftsreisende sucht man in ihnen vergebens, die meisten Fahrgäste haben bereits ein erhebliches Alter und sitzen schlafend oder mit einem Kreuzworträtsel beschäftigt auf ihren Plätzen, die sie lange im Voraus reserviert haben. Während der Fahrt bestellen sie ab und zu Kaffee und Kuchen und gehen nur in Ausnahmefällen ins Bordbistro, um sich ein Glas Wein zu holen oder einen Kartoffeleintopf mit Geflügelwürstchen zu löffeln.
Erstaunlich, dass nicht wenige Bücher gelesen werden, in den meisten Fällen sind es keine Neuerscheinungen, sondern Klassiker, die seit Jahren darauf warten, gelesen zu werden. Ganz in meiner Nähe blätterte ein Fahrgast sogar in Essays von Albert Camus und blickte alle paar Minuten aus dem Fenster, um Camus´ nicht einfache Gedankengänge mit den winterlichen Landschaften draußen zu konfrontieren. Die neusten Games auf dem Smartphone haben dagegen in einem Intercity keine Chancen, wie überhaupt Mobiltelefone kaum aktiviert werden, sondern im Abseits von Reisetaschen vor sich hinschlummern.
Auch lange Gespräche zwischen den Fahrgästen sind eine Seltenheit. Viele von ihnen sind Ehepaare und haben sich dementsprechend kaum noch Neues zu sagen. Somnambul reagieren sie auf die Gesten des anderen, der ihnen genau zum richtigen Zeitpunkt den zu Hause eingepackten Proviant ohne ein unnötiges Wort überreicht.
Das Leben in einem IC ist also arm an Überraschungen oder gar Katastrophen. Es verläuft wie ein pantomimisches Spiel von gut eingespielten Akteuren, die nicht einmal neugierig auf Zeitungslektüren sind. Sie ertragen lange Strecken entrückt und ohne Klagen, und selbst heftige Verspätungen werden kommentarlos hingenommen.
Liegt es an meinem Alter? Oder wie soll ich es mir erklären? Ich bin wieder ein Freund der IC-Reisen geworden, mögen sie auch doppelt so lang dauern wie die in einem ICE. Ich blättere einfach ausgiebig in der Bibel, trinke einen Kaffee ohne Milch und Zucker und höre mit Kopfhörern den uralten Wilhelm Backhaus kurze Stücke von Johann Sebastian Bach spielen. Von so einem Leben kann ich sonst nur träumen.