Das Charles Bukowski-Spiel

Ein guter Freund, der weiß, dass ich Notiz-, Skizzen- und Tagebücher sammle, schenkte mir zu Weihnachten ein Buch von Charles Bukowski: Das weingetränkte Notizbuch. Stories und Essays 1944-1990.

„Lies das mal“, sagte er, „da kannst Du noch was lernen! Ein bisschen mehr Härte, Ruppigkeit, Frechheit, Dreistigkeit… – das fehlt Dir in Deinem Schreiben.“ – Ich sagte nichts und überlegte, ob er Recht hatte. Hatte er?!

Ich blätterte in dem Band und begegnete der Erzählung Ich lerne den Meister kennen (S. 291ff.). Ich las und las und dachte, okay, dann zeige ich mal, dass und wie ich den Meister kennengelernt habe. Und wie?! Indem ich das Bukowski-Spiel spiele:

In jungen Jahren war ich ein hungerleidender Schriftsteller. Manchmal habe ich in dunklen Stuben Klavier gespielt und mir ein paar Groschen verdient. Ich brauchte nur Geld für die Miete und was zu trinken, am liebsten trank ich Rheingauer Weißwein, noch heute ist das so. Ich schrieb eine Kurzgeschichte nach der andern mit Titeln wie Die faule Sache mit Anna oder Wo geht es hier zu Herrn Böll? Oder Das Auswickeln von gut eingepackten Geschenken. Ich schickte sie an viele Literaturzeitschriften und erhielt eine nach der andern zurück. Ich schrieb und trank, was das Zeug hielt. Tagsüber hing ich in der Stadtbücherei von Mainz herum und las die ganzen Schriftsteller, also Leute wie Andersch, Enzensberger, Eich oder Koeppen. Ich fand sie stinklangweilig, aber ich brachte sie hinter mich und wusste danach, dass ich besser war, viel besser. Ich hungerte und schrieb. Von 90 Kilo kam ich runter auf 80, es konnte nicht so weitergehen. Eines Mittags aber, als ich in der Mainzer Stadtbücherei wieder mal ein ganzes Pfund Trümmerliteratur vom Regal nahm, fiel mir ein Buch in die Hände, das mein Leben veränderte. Zur Probe hatte ich einige Zeilen gelesen. Wow, wieso hatte ich von dieser Frau noch nie etwas gehört? Ich nahm das Buch mit in den Lesesaal und legte los, und später lieh ich das Buch aus und kaufte mir drei Flaschen Weißwein, und dann setzte ich mich ans Rheinufer, da, wo die Treppen direkt ins Wasser rutschen. Wow, dachte ich, wieso habe ich noch nie etwas…?, wow, dachte ich, und die Nacht kam, und es schlug vom nahen Dom Mitternacht, und ich hatte, damned, die dritte Flasche geleert und fragte mich: Shit, Du brauchst noch eine vierte, sonst hältst Du es nicht aus – yeah, wieso habe ich noch nie…