Vor ein paar Tagen hat mein Freund Georg unser geplantes abendliches Treffen abgesagt. Er entschuldigte sich damit, dass er zu erschöpft sei und dringend etwas Ruhe und frühen Schlaf brauche. Als ich nachfragte, erfuhr ich seine Geschichte.
Georgs Frau ist derzeit wegen eines wichtigen Termins im Ausland. Das wöchentliche Erscheinen der aus Kalabrien stammenden Haushaltshilfe hat sie deshalb jedoch nicht abgesagt, sondern Georg gebeten, sich „um alles“ zu kümmern.
Am Abend vor Erscheinen der Hilfe begann er, die Zimmer etwas aufzuräumen. Er leerte die Tische von Büchern, Akten und Krimskrams, verstaute alles in Umzugskisten und trug sie in den Keller. Darauf waren das Bad sowie das Schlafzimmer dran: Wegräumen der Wäsche, Aufräumen der lästigen Badeartikel, Reinigung der Dusche. Am längsten dauerten die „Vorarbeiten“ für die Küche. Georg leerte alle Schubläden, warf weg, was nicht hineingehörte, säuberte die Herdplatten, füllte die Spülmaschine auf und kehrte (wie er sagte) „gründlich“.
Als am Morgen danach die Haushaltshilfe erschien, wurde er von ihr sofort als Haushaltsgehilfe eingestellt. Die aktuelle Begleitmusik im Radio wurde hochgedreht, dann tranken die beiden zunächst einmal einen guten Cappuccino. Georg schaute auf die Uhr, er würde sich im Büro verspäten, deshalb rief er kurz an und teilte mit, dass er ein, zwei Stunden später komme, wegen des leider verspäteten Erscheinens der Handwerker.
Am weiteren Vormittag lernte Georg die Zimmer der Wohnung bis in jedes Detail kennen. Er leerte alle Schränke, kroch hier und da hinein, half beim Saugen und Umgruppieren der Koffer und Taschen und trug alles, was beim Säubern der Böden im Weg stand, erst einmal hinaus vor die Tür.
Am Mittag teilte die begeisterte Haushaltshilfe ihre Mahlzeit mit ihm. Zwei köstliche Arancini wurden als Vorspeisen erwärmt, dann wurde eine (ebenfalls mitgebrachte) Lasagne in den Ofen geschoben. Das gemeinsame Essen verlief entspannt, eine CD mit Liedern von Gianna Nannini trug zur Steigerung der guten Stimmung bei. Georg telefonierte nochmals mit seinem Büro und sagte sein Erscheinen für den Tag ab: während der komplizierten Arbeiten der Handwerker sei seine Gegenwart leider unverzichtbar.
Am frühen Abend verschwand die kalabresische Haushaltshilfe nach mehreren Umarmungen. Die Wohnung strahlte und glänzte, nichts, was die puristischen Bilder entleerter Räume hätte beeinträchtigen können, stand noch vorwurfsvoll herum. Georg legte sich hin und schloss die Augen.
Dann rief er mich an und sagte unser Treffen ab. „Ich habe eine neue Welt kennengelernt“, sagte er leise. – „Welche denn?“ fragte ich. – „Die meiner Wohnung“, antwortete er, „stell Dir vor: Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie es darin eigentlich aussieht.“