Der Fragebogen als literarisches Spiel 3

In meinem dritten Fragebogenspiel folge ich wieder Themenvorschlägen von Leserinnen und Lesern für diesen Blog. Diesmal geht es um die Heiligen.

Mit welcher oder welchem Heiligen würden Sie gern mal ein Wörtchen reden?

Ah, das ist wirklich eine sehr interessante und originelle Frage! Mit Heiligen habe ich nämlich seit meiner katholischen Kindheit viel zu tun gehabt. Ich erlebte sie auf Bildern und als Skulpturen in Kirchen, Galerien und Museen, und ich habe mir oft Gedanken darüber gemacht, wie sie zu ihrem Heiligenleben gefunden und es gestaltet haben. Heilige waren ja Menschen mit extremen Lebensentwürfen – das hat mich angezogen – die Unbedingtheit, die Entschlossenheit, das Kompromisslose.

Dann waren Sie sicher auch fasziniert vom Leben der Märtyrer?

Ja, schon. Obwohl ich als Kind einen starken Widerwillen hatte, mir vorzustellen, wie man alle Qualen der Welt erduldet und dennoch unbeirrt am einmal gefundenen Glauben festhält. Die große Zeit der Märtyrer ist ja die des frühen Christentums, als die römische Staatsmacht die Christen verfolgte und sie zwingen wollte, von ihrem Glauben abzulassen. Es gab erstaunlich viele Frauen aus gehobenen säkularen Kreisen, die zu Märtyrerinnen wurden und sich nicht im Geringsten von den Drohungen der sogenannten Heiden beeindrucken ließen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die heilige Ursula, deren Geschichte in Köln bis heute eine große Rolle spielt. Die Heiligen leben ja sehr konkret und bildlich weiter durch das Erzählen von solchen oft kuriosen und hochdramatischen Geschichten. Ursula etwa trat als eine ausgesprochen starke Frau auf, die sich vorbehielt, über ihre Heirat (mit wem? Wann? Unter welchen Bedingungen?) selbst zu entscheiden. Sie gründete sogar einen eigenen Hofstaat, den der tausend Mägde, die sie dann bis nach Rom begleiteten, um dort den Segen des Papstes für ihr Lebensprojekt zu erhalten.

Es gibt aber auch die eher stillen, asketischen Heiligen.

Ja, und unter denen habe ich einen Favoriten. Es ist der heilige Hieronymus. Was mit einem Gemälde zu tun hat, das ich sehr liebe. Es ist das Bild des Heiligen, das Caravaggio gemalt hat. Es hängt heute in der Galleria Borghese in Rom. Während meines römischen Lebens bin ich oft in diese herrliche Galleria gegangen, um mir nur dieses eine Bild anzuschauen.

https://galleriaborghese.beniculturali.it/en/opere/saint-jerome/

Was hat Sie daran so begeistert?

Die Darstellung eines Mannes, der nur noch für und durch das Schreiben lebt. Er ist in die Bücher vertieft, er liest und schreibt gleichzeitig, und er hat den Körper bis aufs Äußerste dafür diszipliniert.

Und das hat Ihnen gefallen?

Als junger Mann hat mich das sehr beeindruckt. Ich lebte damals sehr bescheiden, ich musste mit sehr wenigem Tag für Tag auskommen. Was mir aber nichts ausmachte, weil ich das Ideal der Hochkonzentration auf die Schrift vor Augen hatte. Wozu dann noch die Musik gehörte. Klavier spielen, stundenlang üben und stundenlang schreiben – das war es, so wollte ich leben, das war mein eigenes Projekt.

Gab es für den musikalischen Rausch auch eine Vorbildfigur?

Ich spielte in diesen römischen Jugendjahren in der Kirche der deutschsprachigen Rom-Gemeinde während des Frühgottesdienstes die Orgel. Und es gab eine Heilige, die auf Gemälden immer wieder mit einer Orgel dargestellt wurde: Orgel spielend, singend. Das war die heilige Cäcilie, der in Rom im Stadtteil Trastevere eine Kirche geweiht war. Dort gab es eine schreckenerregende Skulptur: Die Heilige, nach ihrem Martyrium auf dem Boden liegend, vollkommen hilflos und von einer dennoch zu Herzen gehenden Noblesse.

Welcher Heiligen oder welchem Heiligen sind Sie denn zuletzt begegnet?

Vor wenigen Tagen habe ich wieder einmal das Kolumba-Museum in Köln besucht. Ich gehe oft dorthin und drehe dort investigativ meine Runden. Zuletzt entdeckte ich auf einem sehr kleinen Bild den heiligen Hieronymus, meinen Urheiligen. Ich erkannte ihn gleich, er war wieder der große und konzentrierte Schreiber. Aber diesmal schrieb er nicht still vor sich hin und in sich hinein, sondern er schrieb einen Brief an die heilige Paola. Seit sie verwitwet war, stand sie mit ihm in einem regen Dialog über das Thema des asketischen Lebensprojekts. Die heilige Bresilla, eine ihrer Töchter, ist ebenfalls auf dem Bildchen zu sehen. Sie erscheint Hieronymus wie eine Transformatorin, die ihm Anregungen für seinen Brief liefert. Das fand ich geradezu wunderbar: Der Heilige mit den beiden Frauen in intensivem Austausch. Ein wirklich seltenes Trio: Der Gelehrte, die kluge Frau und die kluge Tochter – die Heiligeneinsamkeit war überwunden, sie hatte sich verwandelt in einen anregenden Austausch und ein virtuoses Briefgespräch.