Tage im Jenseits

(Heute auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S.4)

Die tollen Tage in Köln sind in vollem Gang. Mit jeder Stunde mehr ziehen sie uns hinüber ins Jenseits von allem, was sonst noch passiert. Karneval feiern heißt eben auch: sich von der betriebsamen und ewig wichtigtuerischen Welt für zumindest einige Tage komplett zu verabschieden. Mein alter Freund Hugo hat schon mit Wochenbeginn seine Abwesenheitsnotiz installiert: „Bin im Karneval unterwegs. Bitte keine Mails und Anrufe vor Aschermittwoch! Kölle alaaf!“

Oft halten sich die Kollegen aus dem deutschen Norden nicht daran und rufen dennoch an. „Wie die sich anhören!“ sagt Hugo, „wie Gespenster aus der Tiefkühltruhe! Und was die beschäftigt! Der geschätzte Wirtschaftsaufschwung von 0,1 Prozent! Die Böen an der Nordsee! Die Kanzlerkandidaten-Kür in der CDU!“

Hugo fasst nicht, wie man an Karneval noch im althergebrachten Rhythmus weiterleben kann. „Es ist die ideale Zeit zum Aussteigen, meinetwegen auch zu einer Reise in die Ferne. Hauptsache, man erlebt den karnevalistischen Schwung und die Umwertung aller Werte innerlich mit! Karneval ist gereifter Nietzsche, der tolle Mensch seines Zarathustra, vom Kopf auf die Tanzbeine gestellt!“

Hugo ist bekennender Altphilologe und daher, was Karnevalstexte betrifft, mit allen Wassern gewaschen. So hält er „Ich bin ene kölsche Jong“ für ein Karnevalslied der klugen, fast schon philosophischen Art: „Wenn es bloß nicht Willy Millowitsch so singt, als wäre er pausbackig gut drauf. Sondern wenn Hans Süper es mit seiner Flitsch so flüstert und seufzt, als wäre er wirklich noch der klene Jong aus den Nachkriegstagen, der schwer an seiner Mutter hange tut und sich fürchtet, wenn er eine Sammeltass zerbrochen hat. Wie genau die sozialen Milieus und Ängste der schweren Zeit in diesen Zeilen eingefangen sind! Ein Lied vom unsterblichen Fritz Weber, dem Heinrich Heine des Kölner Karnevals! Allein für „Ich bin ene kölsche Jong“ hätte er einen Literaturpreis erhalten müssen! Aber daran denken die nicht-karnevalistischen Sturheiten natürlich in keiner Sekunde!“

Wie jedes Jahr ist Hugo vor allem in seinem Veedel von Nippes unterwegs. „Wenn Du den Nippeser Karneval mitsamt dem großen Umzug am Veilchendienstag hinter Dir hast, gehst Du schon aus Überlebensgründen für mindestens zwei Wochen in Quarantäne. Ist ja auch völlig in Ordnung! Schon allein, um den Karnevalvirus auszuschwitzen und all die wieder zu ertragen, die mit dem Nachrichten-Virus des Normallebens ärmlich weitergelebt haben! In diesem Sinne nochmal: Kölle alaaf!“