Die Inspiration 1 – Die Notenwenderin

Die Frage, woher die Schriftstellerinnen und Schriftsteller ihre Phantasien nehmen (eine Frage, die Sigmund Freud in einem sehr lesenswerten Aufsatz mit dem Titel Der Dichter und das Phantasieren zu einigen Vermutungen anregte), ist eine der interessantesten überhaupt – wenn man sich darauf einlässt, literarische Kreativität zu erforschen. (Muss natürlich nicht sein, ich habe es aber mein halbes Leben lang aus naheliegenden Gründen in den verschiedensten Medien getan.)

Was mich selbst betrifft, habe ich manchmal auch „Inspirationen“ erlebt, die von Geschichten, Fotografien, Bildern oder von Musik und damit von „Außenimporten“ ausgingen, die mir zufällig begegneten und mich dann nicht mehr losließen.

Diese Woche war es wieder soweit. Auf Empfehlung einer Freundin las ich das (von Christina Rietz klug geführte) Interview mit einer Notenwenderin, das im Berliner Tagesspiegel erschienen war:

https://www.tagesspiegel.de/kultur/notenwenderin-im-konzertsaal-die-grosse-kunst-sich-unsichtbar-zu-machen/25558806.html

Eine Notenwenderin! Eine Person, die eigentlich unsichtbar bleiben möchte und mit dem spielenden Pianisten doch die genaue Kenntnis des gespielten Stückes teilt! Sie selbst ist auch Pianistin, aber eine, die zum Stillsein und doch gleichwohl zur Hochkonzentration verpflichtet ist. Spielt sie nicht innerlich mit? Und was geht alles von ihr aus und in das Spiel des Pianisten mit ein?

Über eine solche Figur, ahnte ich sofort, würde ich eine Erzählung schreiben können – und das nicht zuletzt deshalb, weil ich als junger Pianist selbst unzählige Male als Notenwender auf einer Bühne saß.

Einen Teil des eigenen Selbst in einer nur scheinbar fremden Gestalt zu entdecken und sich mit dieser Fremde zu konfrontieren – in dieser dialogischen Urzelle kann ein zentraler Funke von Kreativität entstehen! Und wie kann er sich weiterentwickeln?!

(Ach, herrjeh, auch darüber sollte ich ein Buch schreiben…)