Hölderlins Geburtstag (in Zeiten des Coronavirus 11)

Vor heute zweihundertfünfzig Jahren wurde der Dichter Friedrich Hölderlin in Lauffen am Neckar geboren. All die vielen, sorgfältig geplanten Veranstaltungen aus diesem Anlass finden vorerst nicht statt. Doch wir können seine wunderbaren Gedichte ja lesen, jetzt, in aller Ruhe.

Mein Lieblingsgedicht ist Der Gang aufs Land. Hölderlin hat es einem Stuttgarter Freund, dem Kaufmann Gustav Landauer, gewidmet. Den Sommer und Herbst 1800 wohnte er in dessen Haus und schrieb für ihn dieses Gedicht.

Damals wurde gerade ein Gasthaus draußen auf dem Land eröffnet, so dass Hölderlins Verse auch als Einladung an den Freund zu verstehen sind, gemeinsam „hinaus zu gehen“. Ich zitiere den hinreißenden Anfang:

Komm! Ins Offene, Freund! zwar glänzt ein Weniges heute

Nur herunter und eng schließet der Himmel uns ein.

Weder die Berge sind noch aufgegangen des Waldes

Gipfel nach Wunsch und leer ruht von Gesange die Luft.

Trüb ists heut, es schlummern die Gäng‘ und die Gassen und fast will

Mir es scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit.

Dennoch gelinget der Wunsch, Rechtglaubige zweifeln an Einer

Stunde nicht und der Lust bleibe geweihet der Tag…

 

Zwei Ausgaben seiner Gedichte möchte ich empfehlen (bitte bei Buchhandlungen in der Nähe bestellen, die haben solche Bestellungen jetzt besonders nötig):

  • Zum einen eine Textauswahl, die man mit sich in der Tasche herumtragen und in die man seine eigenen Notizen, Assoziationen hineinschreiben (oder einfach auch nur ein paar Striche am Rand mit dem Bleistift machen) kann. Ich meine die als Reclam-Bändchen erschienene, von Gerhard Kurz herausgegebenen Gedichte.
  • Zum anderen die Ausgabe Sämtliche Gedichte, hrsg. von Jochen Schmidt, erschienen im Deutschen Klassiker Verlag. Sie enthält einen vorzüglichen, sehr detaillierten Kommentar (von mehreren hundert Seiten), der einem auch die oft dunklen Anspielungen der Gedichte mühelos erschließt.

Schließlich empfehle ich (für „alle Altersstufen“!) den großen Hölderlin-Roman des Schriftstellers Peter Härtling (Hölderlin. Ein Roman), der die Lebensgeschichte des Dichters, sorgfältig recherchiert, so erzählt, dass sie als Dokument eines enthusiastischen Hölderlin-Lesers sichtbar wird. Schon der Anfang dieses Romans macht klar, welches Buch man hier liest: Keine „Biografie“ im konventionellen (und oft langweiligen) Sinn, sondern das Gespräch eines Schriftstellers mit einem Lyriker, dessen Gedichte, Briefe und Prosa-Stücke er fragend erkunden will:

„Am 20. März 1770 wurde Johann Christian Friedrich Hölderlin in Lauffen am Neckar geboren – – ich schreibe keine Biografie. Ich schreibe vielleicht eine Annäherung. Ich schreibe von jemandem, den ich nur aus seinen Gedichten, Briefen, aus seiner Prosa, aus vielen anderen Zeugnissen kenne. Und von Bildnissen, die ich mit Sätzen zu beleben versuche. Er ist in meiner Schilderung sicher ein anderer. Denn ich kann seine Gedanken nicht nachdenken. Ich kann sie allenfalls ablesen…“

(Stuttgarter Stäffele in meinen Gärten – auch ein „Gang aufs Land“)