Die Benediktsregel (in Zeiten des Coronavirus 14)

(Heute auch als Kolumne im Kölner Stadt-Anzeiger, S.4)

Petra und Herbert hatten einen Italienurlaub geplant, blieben aber zu Hause, als von dort die ersten Katastrophenmeldungen kamen. Auf etwas Abwechslung wollten sie dennoch nicht verzichten, und so mieteten sie sich im Gästehaus eines Klosters ein.

Bis zu seiner Schließung bewohnten sie dort zwei kleine Zimmer, die jeden Tag gesäubert und desinfiziert wurden. Frühstück, Mittag- und Abendessen erhielten sie in gebotener Distanz zu den anderen wenigen Gästen im Speisesaal. Zweimal am Tag nahmen sie (freiwillig) an den Gebetszeiten der Mönche in der Abteikirche teil. Dann verfolgten sie die gregorianischen Gesänge und vertieften sich in die Psalmen des Alten Testaments, die sie noch nie so konzentriert gelesen hatten.

Die Gründungsurkunde dieses solitären Daseins haben sie inzwischen auch studiert. Es ist „Die Benediktsregel“, die in Lateinisch und Deutsch als handliches Reclam-Bändchen vorliegt. Darin hat der heilige Benedikt im frühen sechsten Jahrhundert Vorschläge und Gebote fixiert, die ein mönchisches Leben strukturieren. In über siebzig Kapiteln ist alles bis ins Kleinste geregelt, von der Haltung beim Psalmensingen über die angemessenen Speisen und Getränke bis hin zu Kleidung und Schuhwerk.

Während ihres Aufenthalts im Kloster wurde Petra und Herbert allmählich klar, was man unter „klösterlichem Leben“ zu verstehen hat. Sie genossen eine wohltuende Ruhe, eine bisher selten empfundene Intensität von Buchlektüren (dicke Romane waren angesagt) und vor allem einen Tagesablauf, der genau strukturiert war. Abwechslung brachten die Spaziergänge zu zweit in der waldreichen Umgebung des Klosters. Schon  bald verloren sie sogar einiges an Gewicht und dachten darüber nach, wie sich das frugale Leben in die spätere Alltagsexistenz hinüberretten lassen würde.

Und die Kultur Italiens? Petra und Herbert machten per Laptop virtuelle Rundgänge, die jetzt von vielen italienischen Museen angeboten werden. Fast alle venezianischen zum Beispiel präsentieren ihre Meisterwerke gut kommentiert. Man kann auf die Details der Gemälde zoomen und Besonderheiten entdecken, die einem bei einem hastigen Museumsgang vor Ort nie aufgefallen wären.

Das virtuelle Studium ersetzt die realen Gänge natürlich nicht. Aber es ist eine Methode, sich mit den Bildern vertraut zu machen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt genauer vor Ort anzuschauen. So gesehen, machen die virtuellen Rundgänge zusammen mit den durch die Klausur erworbenen Erfahrungen sogar Lust auf die Zukunft. Und genau das ist in diesen Tagen wichtiger denn je.