Die Charaktere des griechischen Dichters Theophrast (am besten liest man sie in der schmalen Ausgabe des Reclam-Verlages, griechisch und deutsch, übersetzt und hrsg. von Dietrich Klose) sind schon seit langem eine meiner Lieblingslektüren. In ihnen wurden zum ersten Mal in der europäischen Literatur einzelne Typen des sozialen Lebens genau beobachtet und „charakterisiert“.
Die dreißig kurzen Texte gelten Figuren wie etwa „dem Redseligen“, „dem Bedenkenlosen“, „dem Gerüchtemacher“ oder „dem Spätgebildeten“. Theophrast seziert nicht ihre Psyche, sondern zeigt, wie und woran man sie erkennt. So erzählt er von ihrem Tun und Lassen bis in die Details ihrer Selbstdarstellung. Sein Büchlein wurde dadurch auch zu einem Grundlagenbuch für Epiker und Dramatiker, die mit seiner Hilfe verfolgen konnten, wie man einzelne Figuren vorstellt und entwickelt.
Ich folge Theophrast heute einmal und schreibe selbst eine kleine Studie in seiner Manier. Sie gilt der „Aber-Sagerin“.
- Die Abersagerin hört einem nur mit halber Aufmerksamkeit zu. Während man mit ihr redet, überlegt sie bereits, wie sie antworten könnte: „Ja, aber…“
- Hat sie ein passendes „Aber“ gefunden, bestärkt sie dieser Fund so, dass sie auf das erste auch das zweite und dritte „Aber“ folgen lässt.
- Bald darauf befindet man sich mit ihr im universellen „Aber“-Land. Dort steht alles auf der Kippe: Das baldige Tun, die kommenden Monate, das nächste Jahr, das zukünftige Leben.
- Ihre Leidenschaft für das „Aber“ lässt sie sogar alles hinterfragen, was gerade nicht stattfindet, wohl aber stattfinden könnte.
- Unentwegt sucht sie nach den Abgründen des Daseins. An jeder Ecke tun sie sich auf, so dass es am besten wäre, man rührte sich nicht mehr.
- Verlangt man von ihr schließlich doch einen Entschluss, gibt sie nur in Notfällen klein bei und zieht mit.
- Während man mit ihr etwas anpackt, verfolgt sie jedoch im Stillen weiter die Gegenwelten des „Aber“. So handelt sie nur unter Vorbehalt.
- Daher kommt man mit ihr nie an ein Ende. Hat man etwas zusammen getan, sagt sie: „Schön und gut, aber…“
- Es bringt nichts, auf ihr „Aber“ mit einem „Gegen-Aber“ zu antworten. Sie ist die Meisterin, man würde in jedem Fall den kürzeren ziehen.
- Macht man sie auf ihr „Aber“ aufmerksam, ist sie gekränkt. Da man sie nicht kränken möchte, nimmt man rasch wieder alles zurück. Sie lächelt und sagt: „Na gut, aber…“