Domgeschichten

Jahrhunderte alte Kirchen sind mit der Geschichte ihrer Städte und Ortschaften eng verbunden. Sie sind mehr als sakrale Räume, in denen Gottesdienste stattfinden. Von vielen Bewohnern werden sie auch gelegentlich aufgesucht, für einen Rundgang oder auch nur für ein paar Minuten, in denen man in ihnen zur Ruhe kommt. Durch solche Besuche erhalten sie einen privaten Status und werden zu einem Teil der alltäglichen Lebenswelten, in denen sich Menschen bewegen.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass der Kölner Dom für mich ein derart erlebter Raum ist. Es gab sogar eine Zeit, in der ich nicht an ihm vorbeigehen konnte, ohne ihn zumindest kurz zu besuchen und mich in ihm aufzuhalten. In meinem autobiografischen Roman Die Erfindung des Lebens habe ich von den sonntäglichen Spaziergängen erzählt, die meine Eltern und mich während meiner Kindheit am Rhein entlang zum Dom führten. Zogen sich die Gottesdienste hin, langweilte ich mich. Dagegen gab es jedoch ein Mittel: Ich schaute mir ein Glasfenster, eine Skulptur oder sonst ein Detail des Domes länger und genauer an. Zu manchen entwickelte sich dadurch eine persönliche Nähe. Sympathien entstanden, und ich ertappte mich als Kind manchmal dabei, dass ich mich mit bestimmten Figuren sogar heimlich unterhielt.

Daran musste ich denken, als ich die Domgeschichten las, die Barbara Schock-Werner (von 1999 bis 2012 Dombaumeisterin und Leiterin der Dombauhütte) erzählt. Sie picken sich jeweils ein Detail des Domuniversums heraus, gehen seiner Herkunft oder Entstehung nach – und tun das nicht mit einem kunsthistorischen Gestus, sondern so, dass man als Leser sofort versteht, in welcher Verbindung es zu seiner Erzählerin steht.

Eine weiße Mosaikhand am südlichen Domportal, eine fast hundert Jahre alte Feuerwehrleiter in der Nordturmhalle, die mittelalterliche Bauzeichnung der Westfassade im Chorumgang – das sind Details, die aufmerksame Besucher wahrnehmen, ohne sich ihr Erscheinen aber genauer erklären zu können. Den Staunenden springen die Geschichten von Barbara Schock-Werner bei, nicht besserwisserisch oder belehrend, sondern in einem unaufgeregten, sympathischen, hilfreichen Plauderton. Joachim Frank, Chefkorrespondent des Kölner Stadtanzeigers, hat sie aufgezeichnet und den privaten Ton genau getroffen. In seiner Zeitung sind viele der Geschichten zuerst erschienen und haben die Leserinnen und Leser fortlaufend mit dem notwendigen Domfeeling versorgt.

Jetzt gibt es sie auch als Buch (Dumont Buchverlag), ergänzt durch Fotografien von Csaba Peter Rakoczy, ausgestattet mit Plänen und Literaturhinweisen, die weiterführen.

Ich hab meine Freude an diesen Domgeschichten. Manchmal habe ich versucht, die Illusion durch eine Orgelimprovisation des Domorganisten Martin Meyer zu vertiefen: als befände ich mich vor Ort und sähe und hörte Szenen aus meinen Kinderjahren.