Die antike Literatur kennt die Anrufung der Musen durch die Dichter. Sie bitten um eine Teilhabe an den Ideen und Gedanken der Götter, die von den Musen aufgefangen und an die Dichter übertragen werden. Die Musen erfüllen die Aufgabe von Medien, sie sind Übertragungsinstanzen mit gleichwohl eigenem Leben und Dasein.
Pfingsten ist eine neue Version dieser antiken, heidnischen Vorstellungen. Die Aussendung des Heiligen Geistes übersetzt die antike Inspirationslehre in die christliche Lehre von den brennenden Zungen. In der Apostelgeschichte heißt es (Luther-Übersetzung):
Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander.
2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.
3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen,
4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.
Erweitert wurde diese Pfingsterzählung durch ein Gebet, das Rabanus Maurus zugeschrieben wird. Es soll kurz nach 800 entstanden sein und hat sieben lateinische Strophen: Veni, creator Spiritus.
Die erste:
Veni, creator Spiritus/mentes tuorum visita:/imple super gratia,/quae tu creasti pectora.
In der Übersetzung durch Martin Luther:
Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist,/besuch das Herz der Menschen dein,/mit Gnaden sie füll,/denn du weißt,/dass sie dein Geschöpfe sein.
Und hier die besonders schöne musikalische Version durch Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525-1594):