Helsinki, 11. November 1987. Gerade hat der siebenunddreißigjährige russische Pianist Grigory Sokolov das zweite Klavierkonzert von Johannes Brahms, begleitet vom finnischen Radio-Symphony Orchester unter Jukka-Pekka Saraste, gespielt. Es ist ein immens schweres, virtuoses Stück, das mehr als fünfzig Minuten höchster pianistischer Präsenz in Anspruch nimmt.
Sokolov eilt danach von der Bühne, kommt zurück, verbeugt sich, wie es seine Art ist, nur kurz, und spielt, um etwas Fahrt aus den Anstrengungen zu nehmen, das vierte Prélude von Chopin. Der Saal tobt, das Publikum will noch mehr, viele wissen, dass Sokolov für die exzentrische Wahl seiner Zugaben bekannt ist.
Er betritt wieder die Bühne und verbeugt sich erneut eher flüchtig. Einen Moment zögert er. Soll er weiterspielen? Und wenn ja, welches Stück? Deutlich ist zu sehen, wie er sich einen Ruck gibt, als der Entschluss feststeht. Das Schwierigste, Tollkühnste soll es sein, ein Monster von einer Zugabe: Chopins Étude op. 25 in C-Moll.
Und dann stürzt er sich in das Meer und durchschwimmt, ohne auch nur eine Sekunde an Kraft und Elan nachzulassen, die Wogen.
Kein Mensch war dieser Étude je so gewachsen…