Chöre wollen wieder singen

Vor kurzem hat der Berliner Senat in seiner neuen Infektionsschutzverordnung (gehört ins Corona-Wörterbuch!) generell und undifferenziert festgelegt, dass in geschlossenen Räumen nicht gemeinsam gesungen werden darf.

Untersuchungen verschiedener Institute kommen dagegen zu dem Schluss, dass man Chorsingen erlauben kann, wenn in hohen, gut durchlüfteten Räumen mit Sicherheitsabstand gesungen wird (Münchener Bundeswehr-Universität) oder wenn Chorproben in sehr großen Räumen mit Sicherheitsabstand und fünfzehnminütiger Stoßlüftungspause (gehört ins Corona-Wörterbuch!) stattfinden (Universitätsklinikum Freiburg).

In Berlin gibt es einen Chorverband, dem dreihundert Laienchöre und elftausend Sängerinnen und Sänger angehören. Er hatte ein Hygienekonzept für Chorproben entwickelt, wurde vom Senat aber erst gar nicht gehört. Nun meldet er Protest an und fragt, was in den nächsten Monaten mit all den vielen Profi-, Laien- und Schulchören samt deren Leiterinnen und Leitern geschehen soll?

Erst Corona hat so richtig sichtbar und deutlich gemacht, wie viele Menschen unbedingt gemeinschaftlich singen wollen. Singen als Lebenserhaltung, als Lebenssteigerung, als Lebensintensität! Sollte ein so wichtiges und wunderbares Ausdrucksmittel nicht wie ein Grundrecht eingestuft und behandelt werden?

Blenden wir kurz hinüber nach Großbritannien, wo das große gemeinschaftliche Singen von Chören und Publikum der Höhepunkt der Night of the Proms in der Royal Albert Hall in London ist. Und sehen und hören wir den legendären Schluss eines Konzertes aus dem Jahr 2012, in dem alle gemeinsam das Chorlied Jerusalem (Musik von Hubert Parry, Gedicht von William Blake):

https://de.m.wikipedia.org/wiki/And_did_those_feet_in_ancient_time) –

und anschließend (starker, großer Moment) God save the Queen singen. Statt die Hymne laut herauszubrüllen, singt der Chor sie zunächst pianissimo, dann stimmt die versammelte Sängerschaft des großen Saals mit ein.

Und?! Wem läuft da nicht ein gewaltiger Schauer über den Rücken, angesichts dieses enormen, leidenschaftlichen und innigen Chorgesangs?! Dem Berliner Senat sollte dieser Mitschnitt vorgespielt werden, das wäre eine gute Motivation für eine neue Hymnusschutzverordnung!